Deutschland in Trümmern: Ruinen im Corona-Lockdown

07.04.2021 13:57
Eine morbide Schönheit geht von ihnen aus, den deutschen Ruinen. Manche sind gruselig, viele romantisch, einige kaum noch zu erkennen. Irgendwie war mir bislang nie so bewusst, wie viele Ruinen es in der unmittelbaren Nähe meiner rheinhessischen Heimat Nierstein gibt. Bis Corona kam - und sich mein Aktionsradius für Abenteuer monatelang drastisch auf Rheinland-Pfalz und Hessen beschränkte. 
 
Die Klosterruine Limburg bei Bad Dürkheim. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Klosterruine Limburg bei Bad Dürkheim. 
 
Es ist April. Es herrscht immer noch eine Pandemie. Und mit Wehmut denke ich an mein letztes richtiges Fernreise-Abenteuer vor über einem Jahr zurück, Guatemala und ein bisschen Honduras - nach El Salvador durfte ich ja dann schon nicht mehr. Die Rückreise war mit Hoffen und Bangen verbunden - und dann mit einer über 30-stündigen Busfahrt nach Mexiko, weil unverhofft die ganzen Flughäfen und Grenzen dicht gemacht hatten und nur die Rückreise von dort noch möglich war. Kurz nach der Rückkehr habe ich noch gedacht, naja gut, ein paar Monate kürzer treten mit dem Reisen ist ja okay, wird sich schon was Nettes in und um Deutschland finden. Ist ja auch gut für die Umwelt und so, wenn man mal nicht fliegt. Immerhin war Reisen dann im Sommer 2020 zumindest ein bisschen möglich, zwei Wochen Rügen und zwei Wochen Belgien gingen. Im November wollte ich dann eigentlich nach Polen, aber bekanntlich begann der lange Lockdown. Also Pustekuchen mit Polen, denn da stiegen die Zahlen auch. Den kurzen Gedanken an eine Reise durch Ostdeutschland verwarf ich dann auch schnell wieder, dank des Beherbergungsverbots. 
 
Burg Stahleck über Bacharach am Rhein. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Burg Stahleck bei Bacharach.
 
Alternative Kurztrips mussten her, irgendwo im Umkreis meiner Heimat, hin und zurück an einem Tag, möglichst wenige andere Menschen vor Ort. Ich suchte mir Ruinen heraus, frei zugänglich, ohne Absperrung. Zwei beeindruckende Beispiele habe ich direkt vor der Haustür, die kenne ich schon zur Genüge: Den Schwabsburger Schlossturm und die Ruine Landskrone in Oppenheim. Doch Google wurde zum Quell wahrer Freude - schnell wurde meine Liste von Corona-tauglichen Ruinen länger und länger. Erstmal fuhr ich südwärts: Nach Bad Dürkheim, zur Klosterruine Limburg, oben auf einem Bergrücken gelegen. Vormittags, unter der Woche, nur ein weiteres Auto stand auf dem Parkplatz. In der gewaltigen Klosterruine war ich allein, die Bäume im Innenhof hatten ihre Blätter schon abgeworfen, das Gras war noch saftig grün. Immer wieder drang blauer Himmel durch die Wolken. Still und leer war die Limburg, fast schon unheimlich. Ich schlenderte zwischen umgestürzten Säulen und den erhaltenen hohen Mauern umher. Von Menschen verlassen, von Gott auch?
 
Ruine Burg Fürstenberg am Rhein. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Ruine Burg Fürstenberg.
 
Ein paar Kilometer weiter nördlich fuhr ich zur Villa Rustica Weilberg, einer römische Villenanlage mitten in den Weinbergen, teilweise wieder restauriert. Das Laub der Reben hatte diesen wundervoll gelb-roten Farbton angenommen, die Lese war schon seit ein paar Wochen vorbei. Ein paar Spaziergänger begegneten mir hier auf dem Weg, natürlich mit ausreichend Abstand. Mehrere römische Säulen erheben sich hier in den Himmel, einige alte Steinsärge liegen herum. Die Ausstellungshalle war natürlich geschlossen, doch viele Überreste der einstigen Prunkvilla waren trotzdem zu entdecken. Niedrige Mauern, der wunderbare Blick auf Bad Dürkheim - und nicht zuletzt die rustikalen Klobrillen. Die Römer wussten eben schon, was "Schöner Wohnen" heißt.
 
Kloster Stuben an der Mosel. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Kloster Stuben bei Bremm.
 
Am nächsten Tag fuhr ich nach Norden, den Rhein entlang, erstmal nach Bacharach. Die Geschäfte zu, die Straßen leer, also hoch zur Wernerkapelle. Das sandsteinfarbene Gerippe eines Kirchenbaus, ein paar Außenmauern, pure Rheinromantik. Dann wanderte ich noch etwas weiter, rund um die Burg Stahleck, grandiose Ausblicke auf den Rhein und das gelb leuchtende Weinlaub garantiert. Nächster Stopp: ein paar Kilometer weiter südlich die Ruine Burg Fürstenberg. Hier erklomm ich erstmal die steilen Treppen im Weinberg, dann die Leiter hoch zur Ruine. Wieder war ich ganz allein, trotz der Sonne, trotz der herbstlich warmen Luft. Da brauche ich auch vorerst keine schottischen Burgen, bei diesen prachtvoll schiefen Mauerresten mit Ausblick auf den Rheingau. 
 
Grevenburg über Traben-Trarbach.
 
Strahlendes Herbstwetter führte mich an die Moselschleife von Bremm (die Ruinen von Kloster Stuben sind echt traumhaft) und nach Traben-Trarbach. Hoch über der Stadt in den Mauerstücken der Grevenburg, ganz alleine im Sonnenuntergang, fühlte ich mich wie ein Eroberer fremder Welten. Ich nutzte die Möglichkeiten des Lockdown so gut es eben ging - bis mich dann die Kälte und die dunkle Jahreszeit zur Ruhe zwang. Wochen vergingen mit Arbeit im Homeoffice, mit Zweisamkeit auf dem Sofa, mit Zocken an der Konsole, mit "Bares für Rares" und alten DVDs, mit Aufräumen und Liegestützen. Weihnachten und Silvester gingen vorbei, wieder Arbeiten, dunkle Tage, keine Lust auf Ausflüge in Regen und Matsch. Seit bestimmt über zehn Jahren war ich nicht mehr so wenig an einem Stück unterwegs.   
 
Klosterruine Heiligenberg bei Seeheim-Jugenheim. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Klosterruine Heiligenberg bei Seeheim-Jugenheim. 
 
Erst jüngst fand ich wieder Lust und Zeit, weitere schon ewig zertrümmerte Gemäuer zu erkunden. Die romantisch-unwirkliche Klosterruine Heiligenberg oberhalb von Seeheim-Jugenheim erinnerte nicht nur mich an schaurige Festungen wie Dol Guldur aus dem "Herrn der Ringe". Die Überreste von Burg Rodenstein verbergen sich tief im Odenwald - die einstige Herrscherfamilie starb im 17. Jahrhundert an der Pest, danach wurden viele Teile der Mauern abgebrochen und zum Bau anderer Gebäude verwendet. Damals die Pest, heute Corona - wer weiß, wie in 400 Jahren auf die heutige Zeit zurückgeblickt wird.
 
Burg Rodenstein im Odenwald. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Burg Rodenstein im Odenwald.
 
Bauarbeiten an der Zufahrtsstraße erschwerten mir tags drauf auch den Aufmarsch zur Moschellandsburg im Donnersbergkreis. Eine hübsche Ruine mit interessantem Kneipenbau in der Mitte, die eigentlich viel Platz für einen zünftigen Mittelaltermarkt bieten könnte. Bei meinem Besuch sind allerdings nur dicke Wolken da, selbst Vögel haben da keine Lust zum Singen. Faszinierend ist allerdings, dass nach dem 30-Jährigen Krieg erst die Spanier hier über die Burg befiehlten, dann die Kroaten und schließlich noch die Schweden. Einst scheinbar international begehrt, traut sich in diesen Monaten kaum einer mehr hin. Kriegslust und Wanderlust sind Anfang 2021 einfach out. Die Mülleimer von Burg Falkenstein, ein paar Kilometer weiter, sprechen jedoch eine andere Sprache. Sie laufen fast über und sind damit entweder erst frisch gefüllt worden, oder eben schon länger nicht mehr geleert. Die Ruine sitzt grandios auf einem Felssporn oberhalb bzw. mittlerweile auch innerhalb des gleichnamigen Dorfes. Auch sie wurde erst im Dreißigjährigen Krieg und später bei den Koalitionskriegen demoliert. 
 
Ruinen der Moschellandsburg im Donnersbergkreis. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle
Moschellandsburg im Donnersbergkreis.
 
An Ostern folgte dann ein Besuch der Klosterruine Disibodenberg an der Nahe. Eine beeindruckende Anlage mit noch so manch gut erhaltener Mauer; die jüngsten Abbrüche und Demolierungen sind gerade 200 Jahre her. Das erste Mal seit Beginn des Lockdowns zahlte ich hier wieder Eintrittsgeld an einer Ruine. Irgendwie merkwürdig, so wieder ein Stück Normalität zu erfahren. Aber ein gutes Gefühl, verbunden mit der Hoffnung, bald wieder sehenswerte Ruinen, Welterbe-Stätten und vieles andere mehr in allen Teilen der Welt zu sehen.
 
Burg Falkenstein im Odenwaldkreis. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle

Burg Falkenstein 

Anmerkung: Selbstverständlich habe ich mich während dieser Ausflüge an alle zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Regeln vor Ort gehalten. Bis auf das Kloster Disibodenberg waren alle Ruinen frei zugänglich. Dies ist kein Werbe-Beitrag und ich habe keine finanzielle Gegenleistung für irgendeine Erwähnung erhalten. 

Klosterruine Disibodenberg. Foto: wanderwithwolf / Wolfgang Buerkle

Kloster Disibodenberg

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