Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein faszinierendes rundes Blech. Was...? "Blech" - wie unverschämt von mir, mögen Sie denken, dass ich über diesen grandiosen Schatz so abfällig schreibe. Über dieses Unesco-Weltdokumentenerbe, über diese goldverzierte Bronzeplatte, diese "älteste bisher bekannte konkrete Himmelsdarstellung". Ja, es ist ein bedeutendes Stück Archäologie, aber es hat mich ein wenig verstört, wie groß der Hype derzeit um diese Scheibe ist, die ich mir eigentlich "nur mal anschauen" wollte. Denn das Ding, das schon vom Postillon als "Pizza-Rezept" verulkt wurde, ist eine wahre Gelddruckmaschine geworden. Eine deutsche Nofretete gar. Und dann doch irgendwie nicht so ganz spektakulär, stellte ich fest, als ich mich auf ihre Fährte begab.
Die Kreisgrabenanlage bei Goseck.
Beginnen wir von vorne: Wie Sie als Leser meines Blogs vielleicht schon feststellen konnten, sind alte Steine mein Ding, also in Form von Ruinen, oder Burgen, oder auch Fossilien. Die alten Steine von Stonehenge etwa, oder Petra, Meroe und Tikal. Als Kind fand ich Dinosaurier und Fossilien spannend, das hat sich wohl so fortgeführt bis heute. Natürlich kann ich nicht behaupten, dass ich viel Ahnung von der Materie hab - ich schau mir das einfach gerne an, lese ein wenig darüber, versuche Vergleiche zu ziehen. Und gelegentlich lese ich etwas Spannendes zu einem alten Etwas und denke mir dann: "Ja, dass muss ich mir anschauen." Dazu zählt seit ein paar Jahren auch die Himmelsscheibe von Nebra. Etwa 4000 Jahre alt soll das grün-goldene Scheibchen sein - und durch die umfangreiche Berichterstattung ist ein kleiner Hype entstanden.
Das Dolmengrab bei Langeneichstädt
Ich hatte mir also ein paar Tage frei genommen, um in Sachsen-Anhalt nicht nur das bronzezeitliche Artefakt, welches derzeit im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale untergebracht ist, anzuschauen, sondern ich wollte mir auch den Fundort selbst und ein paar andere "mythische" Plätze anschauen, die das Land jüngst unter dem Motto "Himmelswege" zusammengefasst hat: Die beiden Kreisgrabenanlagen bzw. Sonnenobservatorien bei Goseck und Pömmelte, das Dolmengrab bei Langeneichstädt und die Nebra-Fund- und Ausstellungsorte gehören dazu.
Ringheiligtum Pömmelte.
Mein erster Halt diesbezüglich war Goseck, ein paar Kilometer nördlich von Naumburg. Die dortige Kreisgrabenanlage - beziehungsweise das, was heute wieder mit Holzpfählen aufgebaut wurde - gilt als ältestes Sonnenobservatorium Europas. Vor 7000 Jahren sollen hier schon Menschen die Sonne und die Gestirne beobachtet haben. Damit wäre der Platz 3000 Jahre vor der Schaffung der Himmelsscheibe von Bedeutung gewesen - irgendwie eine merkwürdige Vorstellung, wenn man heute den Fortschritt der letzten 3000 Jahre zum Vergleich nimmt. Goseck jedenfalls stimmt schon mal ein auf die weiteren "Himmelswege"-Punkte. Das Ringheiligtum Pömmelte etwa gilt als deutsches Stonehenge - leider ohne große Steine. Es ist vom Aufbau her vergleichbar zu Goseck, aber doch viel größer. Denn auch wenn hier ebenso tausende Holzpfähle erst in jüngster Zeit zur Veranschaulichung wieder aufgestellt wurden, ist die Anlage mit vielen informativen Tafeln und einem Aussichtsturm stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt wird hier gerade ein Besucherzentrum gebaut.
Eher unscheinbar und "weit ab vom Schuss" ist das erst 1987 gefundene Dolmengrab bei Langeneichstätt. Wer auf Rügen oder in Cornwall war, kennt solche Gräber - und der genaue Bezug zu den "Himmelswegen" erschließt sich erst bei genauerem Nachdenken: Ist eben was Uraltes, also ein etwa 5500 Jahre altes Grab mit der Darstellung einer Dolmengöttin und einem Phallus-ähnlichen Menhir. Doch mir kommt es so vor, als seien dies eigentlich nur die Beigaben, die Krümel vom großen Kuchen der Himmelsscheibe von Nebra. Packen wir ein paar archäologisch bedeutsame Funde im Bundesland zusammen, das Marketing wird's schon richten, irgendwen wird's interessieren.
Um nun die Himmelsscheibe zu sehen, muss man einfach nur ins Landesmuseum für Vorgeschichte nach Halle gehen - wenn die Scheibe nicht gerade ausgeliehen ist. Dort ist sie in ganzer Pracht mit anderen Gegenständen in einem gut geschützten Kasten zu sehen. So wie die Büste der Nofretete fernab von ihrer Heimat in einem Glaskasten in Berlin weilt. Im Museum gibt es Erklärungen zur Scheibe, Vergleiche mit anderen Gegenständen, Einblicke in Fundort und Bedeutung. Dies hat zwar seinen Charme - lässt aber das Große und Ganze aus, so wie die Nofretete ohne Pyramiden eben auch "nur" ein Ausstellungsstück fernab der eigentlichen Heimat ist.
Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle - die ausgestellte Himmelsscheibe darf man nicht fotografieren.
Wer sich nun den genauen Fundort der Scheibe für eben diesen Kontext des "Großen und Ganzen" anschauen will, muss zur neu gebauten Arche Nebra, 55 Kilometer vom Museum in Halle entfernt. Ja, hier sieht alles ein wenig "bronzezeitlicher" aus, die idyllische Lage am Flüsschen Unstrut, die Felder und Wälder in hügeliger Landschaft. Und dazwischen die "Arche". Die Architekten schwärmen von einem "goldenen Sonnenschiff", andere betiteln das markante Museum als "Banane". Doch wer schon im Museum in Halle war, kann sich den Eintritt für diesen Prunkbau sparen. Denn die hiesige Ausstellung ist eher spartanisch und lohnt nur, wenn man sich die Planetarium-Vorführung zu Gemüte führen will.
Der genaue Fundort der Himmelsscheibe ist jedoch ein ordentliches Stück weg, tief im Wald, auf dem Gipfel des Mittelbergs. Man muss knapp vier Kilometer wandern oder radeln oder ewig auf einen Shuttlebus warten. Dank Klappfahrrad bin ich in einer guten Viertelstunde da - und blicke auf einen abgedeckten Kreis in einer Wiese sowie einen hässlichen riesigen Betonklotz. Dieser Aussichtsturm wird euphemistisch als "Nadel einer überdimensionalen Sonnenuhr" betitelt - und da gerade zwei Schulklassen auf dem Weg hoch und runter sind, spare ich mir den Ausblick von ganz oben. Insgesamt eine ernüchternde Erfahrung, so von Aufwand und Ertrag her. Denn ernsthaft: Wer schaut sich denn nur die Arche an und nicht den Fundort? Wer schaut sich denn nur das Ägyptische Museum in Kairo an und nicht die Pyramiden? Die Besucherführung in Stonehenge könnte für Nebra ein gutes Vorbild sein... Ich radele zurück zur "Arche", tröste mich mit einem Magneten mit der Himmelsscheibe drauf und mit der Tatsache, dass es in Deutschland noch viele andere grandiose archäologische und paläontologische Funde gibt. Von der Grube Messel, dem Archaeopteryx, über den Keltenfürst von Glauberg, bis hin zu den Römerschiffen von Mainz. Doch das sind andere Geschichten.
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