Die Pyramiden von Meroe im Sudan: Auf den Spuren der nubischen Pharaonen

21.02.2017 12:16
Meine Füße zerstören die vom Wind wundervoll gleichmäßig geformten Wellen auf den Sanddünen. Die Abdrücke sind wenigstens nicht von langem Bestand. Denn auch wenn eben dieser Wind dafür sorgt, dass meine Spuren nur kurz sichtbar sein werden, bin ich mir sicher, dass hier, an dieser Düne, schon länger niemand mehr gelaufen ist. Zumindest heute noch nicht. Schlieren von Sandkörnern wehen an meinen Beinen vorbei, bis diese sich neben der ersten Pyramide auf dem Hügel vor mir zu einem beachtlichen Haufen formen. Steil ragt sie auf, ein uraltes Denkmal errichtet auf Felsen. Erst als ich an ihr vorbeigehe, sehe ich die anderen steinernen Gräber dahinter, halbmondförmig auf der Anhöhe errichtet. Selbst 2000 Jahre Sand und Wind konnten den Pyramiden von Meroe im Sudan nichts von ihrer Einzigartigkeit rauben, wohl aber einen Teil ihrer Substanz.  
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Die Grabmäler ragen aus der Hügelreihe hinauf, wie die Zähne eines Hais. Teils spitz, teils abgebrochen, teils stehen nur noch die Grundmauern. Ungewöhnlich steil sind sie, dafür nicht so gigantisch wie etwa die Pyramiden von Gizeh. Und auch bei Weitem nicht so berühmt: Während selbst in Krisenzeiten die ägyptischen Bauten von nicht wenigen Touristen belagert werden, freut man sich in der Hochsaison in Meroe, knapp 250 Kilometer nordöstlich von Khartoum, auf ein paar Dutzend Besucher am Tag. Von einem Tourismus-Magneten kann man also nicht gerade sprechen. Das spüre ich schon am Eingang, denn davor sitzen zaghaft ein paar Verkäufer, die hellauf begeistert sind, dass endlich mal wieder jemand vorbei schaut. Auch die obligatorischen Dromedar-Führer sind zugegen - sie hüpfen auf ihre Sättel drauf und winken euphorisch, als hätten sie seit Tagen nur auf mich gewartet. Doch Ali und seine Shirin, so stellt sich einer mit seinem Reittier vor, müssen sich gedulden. Erst will ich diese Monumente aus der Zeit des Königreichs von Kush im damaligen Nubien in ihrer noch erhaltenen Pracht erleben - und zwar in all ihrer ruhigen Einsamkeit. 
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Einst soll es hier hunderte Pyramiden gegeben haben, sichtbar sind im nördlichen Teil noch etwas mehr als zwei Dutzend, im südlichen Abschnitt etwas weniger. Auf der westlichen Seite des Khartoum-Atbara-Highways gibt es noch einen dritten Bereich mit einer hergerichteten Pyramide und einer handvoll Ruinen. Die restlichen liegen noch irgendwo unter dem Sand oder wurden im Lauf der Jahrhunderte abgetragen, um andere Gebäude entstehen zu lassen. Das Gefühl von der mysteriösen Magie der Wüste, von Indiana-Jones-mäßigem Abenteuer, das stellt sich bei den gut erhaltenen und stellenweise restaurierten und wieder errichteten Pyramiden im Nordteil ein. Hier staune ich über die grandiose Wüstenlandschaft, die sich nur wenige Kilometer östlich des Nils ausbreitet, über die wenigen Informationen, die einem gegeben werden, und über die vielen Dinge, die es dadurch zu entdecken gibt. Es gibt keine Flyer, keine Hinweisschilder, nur einen kargen Raum am Haupteingang, in dem Plakate spärlich über das alte Königreich, die Ausgrabungen und die Rekonstruktionen informieren. Also heißt es losmarschieren und auf eigene Faust erkunden. Den nördlichen Abschnitt knöpfe ich mir zuerst vor. Viele der Pyramiden haben noch ihre Vorkammern, in denen jedoch oft nur noch Trümmer, teilweise mit verwitterten Hieroglyphen beschriftet, liegen. Manche der Eingänge zu diesen Begräbnis-Kapellen sind zugänglich, zeigen Schriftzeichen an den Wänden, Reliefs von Königen, Göttern, Völkern und Prozessionen. Ich muss zugeben: Ich habe keine Ahnung, welcher König oder welche Königin unter welcher Pyramide liegen - schlussendlich blättere ich es später im Reiseführer nach. Doch die Namen sagen wenig aus, über die einzelnen Personen ist heute kaum etwas bekannt.  
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle 
 
Nur wenige der Pyramiden haben noch ihre Spitzen - auch dank des Italieners Giuseppe Ferlini, der vor knapp 200 Jahren auf der Suche nach Gold nicht gerade zimperlich vorging und viele der Grabmäler köpfte. Nur in einer fand er allerdings in der Tat das Gold einer Königin, viele andere Wertgegenstände waren schon in den vorherigen Jahrhunderten aus den Gräbern geplündert worden. Die Zerstörung von Ferlini allerdings war die dramatischste - und heutige Archäologen sind gelegentlich mit der Rekonstruktion des Unesco-Weltkulturerbes gut beschäftigt. Viel von ihnen sieht man allerdings nicht, es fehlt an Geld, an für diese Epoche relevantem Wissen, an der Infrastruktur und wohl auch am Interesse. Man kennt noch nicht einmal alle Namen der nubischen Königinnen und Könige, die hier begraben worden sind. Zu viel ist noch unter dem Sand verborgen und wartet darauf, entdeckt zu werden.
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Ich gehe von Pyramide zu Pyramide, stapfe durch Sand, Hügel hinauf und hinab, über Mauerreste und vorbei an Sandsäcken, die zum Schutz einiger Bauten hingelegt wurden. Die Gräber selbst oder Särge kann man nicht sehen, sie sind irgendwo unter den Steinen, teils im Fels, gut verschlossen oder verschüttet. Die Unterschiede der nubischen Pyramiden faszinieren mich, in welchem Zustand jede einzelne ist, ob sie treppenförmig gen Himmel reicht, oder einst eine glatte Außenwand besaß. Bei einigen, deren Vorkammern mit Holztüren verschlossen sind, versuche ich durch einen Spalt oder ein Loch zu erkennen, welches Geheimnis vor mir verborgen werden soll. Erkennbar sind aber schließlich nur weitere Trümmer, Hieroglyphen und Reliefs im trüben Licht, das durch Ritze und Spalten dringt. 
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Irgendwann habe ich genug, die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen, der wehende Sand setzt meiner Kamera immer mehr zu, die Abwechslung hält sich nach der ausgiebigen Erkundung von Nord- und Südteil irgendwann in Grenzen. Ein riesiger Friedhof aus Sand und Stein, noch voller Geheimnisse, die irgendwann irgendwer herausfinden könnte. Ich kann Meroe nur erkunden, die Geschichte erahnen, die Abgeschiedenheit und einzigartige Atmosphäre genießen. Und dann winke ich Ali mit seinem Dromedar herbei, steige auf und bin der Tourist, durch den er sein Abendbrot verdient. Ein einsamer Tourist in einem grandiosen Welterbe, dass viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
 
Bei den Pyramiden von Meroe im Sudan. Foto: Wolfgang Bürkle

 

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