Die Trümmer der Griechen: Das Problem der Ruinen von Chalkidiki
26.07.2024 11:53
Wer kennt sie nicht, die Akropolis in Athen, den Palast von Knossos auf Kreta, oder die archäologische Stätte von Delphi? Meisterstücke des Antiken Griechenlands, einige auch Unesco-Welterbe, die unzweifelhaft für die grandiosen Leistungen der griechischen Kultur stehen und massenhaft besucht werden. Der Eintrittspreis scheint egal, Hauptsache einmal die hohen Säulen aus nächster Nähe erleben - das sagten sich zum Beispiel laut Statista allein im Jahr 2022 knapp 1,4 Millionen Menschen, die die Akropolis besuchten. (Quelle: Statista) Wer Griechenland besucht, der will auch alte Steine, Säulen und Mosaike sehen. Oder doch nicht? Scheinbar verlocken nicht alle griechischen Ruinen die Touristen dazu, ihre Geldbeutel zu öffnen. Besonders bei meinem Aufenthalt in Chalkidiki ist mir das aufgefallen.
Denn da gibt es Orte wie Toroni - ein verschlafenes Nest auf dem "Mittelfinger" von Chalkidiki. Hier liegt eine wunderschöne archäologische Stätte direkt auf einem Vorsprung an einer malerischen Bucht: die Festung von Lekythos. Oder zumindest das, was von der Festung übrig geblieben ist. Ein paar alte Mauern, zwischen denen hübsche Blumen wachsen, ein paar verlorene Steine - und der Unglaube meinerseits, dass das hier kaum jemanden juckt. Denn Lekythos gilt offenbar als bedeutendste archäologische Stätte von Sithonia - also vom ganzen "Mittelfinger". Das Wasser um diese Halbinsel ist glasklar, der helle und fast leere Strand leuchtet geradezu im Sonnenschein. Ein rudimentärer Stahlzaun am Eingangsbereich zur Festung ist umgeknickt, niemand passt auf, am Rand vor einem Wäldchen steht nur ein kleiner verschlossener Zweckcontainer. In der Anlage selbst liegt auch ein Haufen Müll zwischen den Steinen. Wegmarkierungen sind abgeknickt, Seile durchgerissen. Einst stand hier eine große byzantinische Festung, ein wohlhabender und stattlicher Ort, mit Akropolis auf dem anliegenden Hügel - und ein Hafen, in dem dutzende große Schiffe ankerten. Heute macht es einem verträumten "Lost Place" alle Ehre. Von offizieller Seite heißt es zwar, dass es immer mal wieder archäologische Grabungen hier gibt - aber scheinbar haben diese hier keine große Priorität.
Da stellt sich mir doch die Frage: Gibt es einfach zu viele antike Ruinen in Griechenland? Und zu wenig Geld und Personal, um alle "ordentlich" in Schuss zu halten? Zumindest in der Region Chalkidiki scheint dies der Fall zu sein. Denn nicht nur Lekythos wirkt "lost". Auf dem Weg nach Ouranoupolis, dem "Tor" zum Berg Athos, biege ich spontan ab, weil eines der typischen braunen Hinweisschilder der Griechen auf Akanthos aufmerksam macht, einst auch ein bedeutender Stadtstaat. Akanthos überstand etwa die Perserkriege im 5. Jahrhundert v. Chr., den Peloponnesischen Krieg und den Krieg gegen Sparta. Heute liegen ein paar Steine unter einem großen Dach, Schilder und Geländer sind demoliert und beschmiert. Außer mir keine Menschenseele vor Ort. Dafür ringsherum gammelige Verschläge und Müll.
Was Armeen und bedeutende Herrscher nicht leisten konnten, zerstört die Neuzeit. Wenige Kilometer weiter, in der extrem touristischen Stadt Ouranoupolis, ein gottseidank anderes Bild: Denn hier gibt es noch den byzantinischen Prosphorion-Turm, der ein kleines Museum mit wenigen Exponaten beherbergt. Zwar reichen hier 15 Minuten, um alles zu sehen, aber wenigstens macht man sich die Mühe, das Vorhandene zu bewahren.
Auf dem südlichen Finger von Chalkidiki - "Kassandra" - gibt es einen weiteren kleinen Hoffnungsschimmer: den Tempel von Ammon Zeus. Eigentlich sollte hier in den 1970ern ein Hotel direkt am Strand gebaut werden. Bei den Arbeiten stießen jedoch die Bagger auf die Überreste des Tempels, der dem ägyptischen Gott Ammon geweiht war. Zugegeben, so wirklich viel von dem Götterbau ist nicht übrig, aber man hat das Gelände eingezäunt, weitere Grabungen vorgenommen und alles so eingerichtet, dass man ein wenig vom einstigen Tempelgelände erahnen kann. Eintrittsgeld verlangt man auch nicht, obwohl es eine Aufsicht gibt. Als "alte Steine"-Freund finde ich das gut. Das Luxus-Hotel mit dem bezeichnenden Namen "Ammon Zeus" steht jetzt direkt nebendran. Scheint also eine Win-win-Situation für alle zu sein.
Ein Gewinn für das Auge ist wenige Kilometer weiter der byzantinische St.-Pauls-Turm, der über Nea Fokea thront. Der brannte 1821 nieder, wurde dann restauriert, aber ist heute nicht zugänglich. Dennoch sieht er hübsch aus, mit den Fischerbooten und der Bucht vornedran.
Einzig Olynthos versucht ein bisschen, mit den bedeutenderen archäologischen Stätten Griechenlands mitzuhalten. Zwar gibt es hier keine hinauf ragenden Säulen oder monumentale Statuen mehr. Aber: Die wenigen Mosaike sind sehr gut erhalten, es gibt Personal und Info-Tafeln und mit ein wenig Fantasie kann man sich dank der Mauerumrisse noch recht gut die Stadt vorstellen. Diese blühte im 5. Jahrhundert vor Christus auf, bis sie 348 v. Chr. durch die Makedonen zerstört wurde. Klar, man kann hier keinen großen Vergleich mit der Akropolis ziehen. Aber immerhin wird hier dem kulturinteressierten Touristen etwas geboten. Und: Das Gelände der antiken Stadt auf einem Hügel ist eingezäunt, es gibt konkrete Öffnungszeiten, sogar Eintrittsgeld wird verlangt.
Ihr seht: Es gibt auch in Chalkidiki einige antike Ruinen zu bestaunen. Allerdings sind die wenigsten in passablem Zustand - und vielen wird offensichtlich keine erhaltenswerte oder restaurierungswürdige Bedeutung mehr eingeräumt. Von den vielen kleinen, noch an den Küsten verstreuten Ruinen wie "Kypsa Megali" oder dem Poseidon-Tempel von Possidi habe ich gar nicht angefangen. Überall gibt es hier Historisches zu entdecken. Falls ihr also überlegt, euch in Chalkidiki auf die Spuren des antiken Griechenlands zu begeben, habt ihr einige Abenteuer vor euch. Erwartet keine gigantischen Tempel, aber mit ein bisschen Ausdauer und Erkundungseifer könnt ihr einiges erleben. Und eine Bitte: Macht nichts weiter kaputt, was eh schon kaputt ist.
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