Edinburgh: Die Suche nach der Magie in Schottlands Hauptstadt
13.07.2016 11:03Edinburgh steckt voller Magie. Allerdings zeigt sich diese manchmal erst auf den zweiten Blick. Auf den ersten ist der schottische Moloch eine Großstadt mit zuviel Verkehr, grauen Bauten, denselben Einkaufsgeschäften wie sie in allen Großstädten dieser Welt zu finden sind und unverschämt hohen Preisen. Natürlich mit einer netten Burg auf einem Hügel im Zentrum – aber das gibt es in Sterling und Inverness auch. Oder Nürnberg. Oder Salzburg. Ach, ich schweife ab ...
Zurück zur Suche nach dem Magischen. Sie beginnt am erhabenen Castle - doch schnell zeigt sich: Falls es hier je etwas Magisches gab, wurde das längst von Millionen Besuchern platt getrampelt. Anstehen, um in einer Kapelle ein Foto eines Fensters mit William Wallace drauf zu machen. Anstehen für das museale Gedenken an Soldaten, die für ihr Schottland starben. Anstehen für Krone, Zepter, Schwert und einen mystischen Steinbrocken. Eigentlich ein Höhepunkt der schottischen Geschichtsschreibung: Denn sowohl um den Stone of Scone (den Krönungsstein) als auch um die Kronjuwelen ranken sich so viele Geschichten über Intrigen, Verschiebungen und Diebstähle, dass man damit ganze Bücher füllen kann. Doch nur ein kurzer Blick muss hier genügen, die Schlange hinter mir drängelt, jeder will einen Blick auf Gold, Diamanten und Stein werfen - die Magie bleibt hinter Glas verschlossen. Und den Erzählungen nach soll es auch erst in den Nächten zu übernatürlichen Begegnungen kommen: Der Dudelsack spielende Geist lässt sich hier am Tag ebensowenig blicken, wie der kopflose Trommler. Schade, denke ich, und mache mich wieder auf den Weg.
Die Royal Mile, die Straße vom Castle hinunter zum Parlament und zum Queen-Palast Holyroodhouse versucht es mit falschem Zauber. Mit aufgetakelten Dudelsackspielern, mit zwei Tartans zum Preis von einem, mit historisch gewandeten Führern, die von Folter und Verliesen erzählen. Manche gewähren einen Einblick in vermeintlich gruselige Katakomben, die aber letztendlich keinen Grusel verursachen, sondern nur ein mitleidiges Lächeln hervorrufen. Kneipen und Geschäfte nennen sich nach Witches und Wizards, nach Judges und Deacons. Auf der Royal Mile geht es ums Geschäft, ums Geld verdienen, um Umsatz und auch ein wenig Unterhaltung. Die Taube auf dem Kopf der Statue von Adam Smith gurrt dazu - offenbar befürwortet sie den dadurch ansteigenden Wohlstand der Nation, der am Abend wieder in den Pubs versoffen wird.
Auf dem Weg zum Holyrood-Palace stoße ich auf Statuen und das Wappen mit dem Einhorn, dem Nationaltier der Schotten. Magische Kräfte soll das stolze Tier besitzen, ein würdiger Gegner für den Löwen (das englische Nationaltier) sein. Ein Tier aus Mythen und Legenden, das seit Jahrhunderten für Reinheit, Kraft und Unschuld steht. Wirkt die Magie des Einhorns etwa auch in der schottischen Hauptstadt? Ich sehe zumindest keins vorbei laufen, würde mich auch ziemlich wundern, wenn jemals ein Schotte ein echtes Einhorn gesehen hat. Das Fabelwesen bleibt Legende - und unterstreicht nur den Wunsch von Edinburgh, mit dem Geister-Image zu punkten. Ich fühle mich dank der vielen Einhorn-Darstellungen zumindest ein wenig wie in einer gut ausgestatteten Märchenstadt - vielleicht kommen hier doch noch Shrek und Esel oder die sieben Zwerge vorbei.
Verhext wirkt die Stadt auf mich, als ich mir die Füße wund laufe, als ich bei Nieselregen durch die hässlichen Straßen mit den abgeranzten Kaschemmen unter Brücken hasste, Zuflucht in einem zufällig am Straßenrand liegenden Café suche, was genauso auch in Frankfurt oder Berlin sein könnte. Irgendwie hip, irgendwie modern, aber gesichts- und geschichtslos. Die Bedienung spricht besser Spanisch als Englisch, der Espresso ist Durchschnitt, das Wlan bricht ab. Es verführt zum schnellen Weitergang, dem feuchten Wetter trotzend will ich weitere Winkel erkunden, die weniger düster und trist sind.
Ein Hund mit einer abgenutzten Nase verspricht eine herzerweichende Geschichte. Bobby heißt der Terrier, der angeblich jahrelang am Grab seines verstorbenen Herrchens ausharrte - eine Skulptur auf einer Säule erinnert an ihn, vor einem Pub, vor einer Kirche - der Greyfriars Kirk - mit einem Friedhof. Hier ist Magie. Hier sind Legenden begraben. Ein unheimlicher Ort bei dunklen Wolken - mitten in der Stadt, mit Sicht auf das Castle. Uralte Grabsteine, schief und schepp, abgegriffen, zerbrochen, als wolle der Teufel ihr Andenken vernichten. Hier rennen Harry-Potter-Fanatiker rum, fuchteln mit Zauberstäben oder eben mit einem Stück Holz herum, um aufzujauchzen, wenn sie auf einem Grabstein den Namen "McGonagall" lesen und auf einem anderen "Thomas Riddell". Irgendwer hat in jüngster Zeit noch „Voldemort“ darunter geritzt. Der Name Riddell war Inspiration für den Gegenspieler von Harry Potter; die an Greyfriars Churchyard angrenzende George Heriot's School Inspiration für Hogwarts. Heiligtümer des Todes werden hier Heiligtümer für Nerds. Die Magie wird real, manifestiert sich im jungen Glaube der Muggel.
Der Calton Hill, der Hausberg Edinburghs, ist am späten Abend, wenn es dort oben nicht mehr ganz so voll ist, ein durch und durch magischer Ort. Er bietet die perfekte Sicht auf die Stadt, die grauen Häuser, den Burgberg, bis hin zur Flussmündung Firth of Forth. Auf dem National Monument sitzen Liebespaare und Freundesgruppen, sie reden, lachen, schießen Selfies und warten, wie ich, auf den perfekten Sonnenuntergang. Doch die Sonne lässt sich nicht blicken, sie versteckt ihr Antlitz hinter einem nur langsam wandernden Wolkenband. Ich schlendere herum, setze mich auf eine Bank ans Observatorium, verharre mit dem Blick auf die Stadt. Hier oben ist vom Trubel wenig zu spüren, der Lärm ist weit weg, die Menschen nur kleine Figürchen im Schachbrett-Muster der Straßen. Ein alter, bärtiger Mann setzt sich zu mir und seufzt. "It's just magical, isn't it?", sagt er schließlich. Und ich nicke nur.
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