Ein Biss in Bhutan - und die Angst vor der Tollwut
30.08.2020 11:05
Ich mag Hunde. Zumindest meistens, also dann, wenn sie brav sind und hören. Und nicht zu laut bellen. Oder beißen. Als ich ein kleines Kind war, hatten meine Großeltern einen Dackel, Aki hieß er - und natürlich mochte ich ihn. Selbst als er mir irgendwann mal in die Backe biss, vermutlich weil ich zu sehr an der Leine gezogen hatte. Die kleine Narbe, die von damals übrig blieb, kann ich heute noch im Spiegel sehen. Dann, am 14. November 2019, ein Donnerstag, bekam ich meinen nächsten Hundebiss. Aber leider nicht von einem braven deutschen Dackel, der nur mal etwas überreagierte.
Ich war gerade mit einer Reisegruppe in Bhutan unterwegs, einem Land in Asien, eingebettet zwischen Indien und China. Eine Reise, auf die ich mich lange gefreut hatte - vor allem auf das Tempelfest im Bumthang Tal, dass wir an diesem Vormittag besucht hatten. Eine bunte Veranstaltung, mit vielen Menschen, kuriosem Tanz und Gesang. Doch nur wenige Stunden später saß ich im Krankenhaus von Jakar. Eine Hündin hatte mich gebissen. Und in meinem Kopf schwirrten die Gedanken um Tollwut und andere mögliche Infektionen.
Wenn Tollwut in einem Menschen ausbricht, verläuft die Krankheit immer tödlich. Und das innerhalb weniger Tage. In Deutschland ist die Tollwut fast ausgerottet, einige Fledermäuse allerdings können das Virus hier immer noch übertragen. Wer in Deutschland daran erkrankt, wurde höchstwahrscheinlich auf einer Reise gebissen. Etwa in Afrika - oder in Asien. Vielleicht auch in Indien oder Bhutan. Die WHO schätzt, dass noch knapp 60.000 Menschen jedes Jahr an der Tollwut sterben, ein Drittel davon in Indien. Ich weiß nicht genau, warum ich bislang keine Impfung gegen Tollwut hatte. Vielleicht, weil ich auf Reisen bislang immer den Kontakt zu streunenden Hunden, Affen oder anderen großen Tieren möglichst gemieden hatte. Vielleicht Torheit oder die Unlust, wieder für eine Impfung zum Arzt zu gehen. Auch in Bhutan wäre mir nicht in den Sinn gekommen, aktiv die Nähe zu einem Tier zu suchen.
Der Biss geschah an einem Tempel. Ich lief nichtsahnend mehrere Meter an der zuerst friedlich wirkenden Hündin vorbei und blickte nach vorne, in Richtung des Tores der Anlage. Plötzlich spürte ich dann einen Schmerz in der linken Wade. Ich blickte hinab, sah die Hündin wegrennen und auf den ersten Blick auch keinen Schaden an meiner Hose. Ich dachte, sie hätte nur hinein geknappt, als Warnung, schließlich schien sie erst ein paar junge Welpen auf die Welt gebracht zu haben.. Erst als ich wenige Meter weiter lief, spürte ich Feuchtigkeit am Hosenbein - ein Blutfleck hatte sich an der Wade gebildet. Schnell waren meine Mitreisenden zur Stelle, verscheuchten den Hund und brachten mich zum Bus. Dort wurde die Wunde erstversorgt, weiteres Blut zur ersten Reinigung hinausgedrückt und desinfiziert. Schließlich beschlossen wir, das örtliche Krankenhaus aufzusuchen.
Die Behandlung in einem Krankenhaus in Bhutan ist immer kostenfrei. Ich gab der Dame am Empfang meinen Pass, sie notierte die ersten Informationen und verwies mich weiter zum "Senior Medical Officer", dem Chefarzt. Vor dessen Tür war schon eine lange Schlange, doch einige Einheimische ließen mich vor. Der Medical Officer hörte sich dann an, was passiert war, nahm die Wunde unter die Lupe und beruhigte mich. Hundebisse seien sehr häufig in Bhutan - doch es gebe keine Tollwut mehr in diesem Teil des Landes, versicherte er. Eine nachträgliche Impfung sei nicht nötig. Ich solle die Wunde vom Personal weiter desinfizieren und verbinden lassen. Auch dort wurde mir bestätigt, dass es zwar viele Hundebisse, aber keine Tollwutfälle gebe. Ich war beruhigt. Doch konnte ich wirklich sicher sein? Ich googelte schließlich etwas, laß den Hinweis des Auswärtigen Amtes, das Paper der WHO, die von über 5000 Hundebissen jährlich in Bhutan berichten, sowie vom Kampf der Regierung gegen das Virus. Immerhin wird behauptet, dass es von 2017 bis 2019 keinen Tollwutfall in Bhutan bei einem Menschen gab.
In den folgenden Tagen besserte sich die Wunde. Sie wurde jeden Morgen von einer netten Mitreisenden gereinigt und mit einem neuen Pflaster versehen. Ich nahm fünf Tage lang Antibiotika, um eventuellen Entzündungen vorzubeugen. Ich hatte keine Probleme, konnte normal laufen und auch zum berühmten Tigernest-Kloster hochwandern. Manchmal hielt ich das Hosenbein abends aus reiner Neugier ins Licht, um zu sehen, ob nicht doch ein kleines Loch durch die Hündin heingebissen worden war. Doch da war nichts. Also alles gut? Zurück in Deutschland ging ich erstmal zum Bereitschaftsarzt und zur Blutabnahme. Alle gemessenen Werte waren im grünen Bereich. Dennoch blieb ein irgendwie mulmiges Gefühl. Also ab zum Impfzentrum an der Mainzer Unimedizin. Und dort riet man mir dringend dazu, eine komplette "Postexpositionsprophylaxe" vorzunehmen. Das volle Programm also. Denn sicher sein konnte man sich natürlich nicht, dass die Hündin nicht vielleicht doch Tollwut hatte, oder? Und das irgendetwas von ihrem Speichel durch den Hosenstoff gedrungen war. Ich gab zu, möglicherweise alles etwas lax gesehen zu haben. Und stimmte der Postexpo zu. Einem Haufen Spritzen also, in Po und Arm, über mehrere Wochen verteilt.
Nun, im Rückblick, muss ich sagen, dass ich mich zumindest am Tempel in Bhutan nicht falsch verhalten habe - die Hündin hätte wohl irgendeinen aus meiner Gruppe gebissen, einfach um zu zeigen, dass wir uns nicht ihrem Nachwuchs nähern sollten. Ich war einfach das Zufallsopfer. Ich gebe zu, eine Tollwut-Impfung vor der Reise wäre sinnvoll gewesen und hätte mir zumindest einige Gedankenspiele und mehrere Spritzen der Postexpositionsprophylaxe erspart. Aber wie heißt es so schön: Am Ende ist man immer um eine Erfahrung reicher. Und mein Tipp an alle, die nach Bhutan reisen wollen: Lasst euch vorher gegen Tollwut impfen - und meidet die vielen Hunde.
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