Einmal Gletschereis, bitte - Am Jökulsarlon in Island

18.12.2014 13:27

Es dauert eine Weile. Und ein paar Sonnenstrahlen können nicht schaden. Ich kann zwar nicht direkt sehen, wie ein Gletscher sich einen Berg hinab bewegt, aber ich habe einen schmelzen sehen. Jedenfalls so ein kleines bisschen. Und meine Zunge hing für einen kurzen Moment an einem Stück des schmelzenden Eisriesens, gerade solange, bis aus dem angeblich eintausend Jahre alten Bröckchen wieder Wasser wurde. Am See Jökulsarlon in Island endet die Gletscherzunge des Breiðamerkurjökull - hier bröckelt dieses Eis ab, fällt in den See und treibt schließlich langsam immer kleiner werdend durch eine Engstelle an der Küste hinaus auf den Atlantik.

Am Jökulsarlon in Island. Foto: Wolfgang Bürkle

Gletscher sind bekanntermaßen keine Eisberge. Sie formen sich aus Schnee, der in größeren Massen fällt, als es der Berg vertragen kann. Der Schnee drückt sich immer weiter vorwärts, immer weiter talwärts, bis diese unbändige Kraft schließlich auf das Wasser trifft und in großen Blöcken abbricht. Hier auf dem Jökulsarlon kann man dies wunderbar sehen, direkt an der Südküste Islands, in Sichtweite der Bundesstraße. Auf der einen Seite der Atlantik, auf der anderen der See mit dem Gletscher hintendran. Ein näherer Blick darauf lohnt sich, auch wenn sich die gut 380 Kilometer von Reykjavik ziemlich ziehen.

Unser fahrendes Amphibienboot mit den vier dicken Rädern ist von der hölzernen Aufstiegsplattform gemächlich in den Jökulsarlon geholpert. Es ist ziemlich windig, vorhin auf der Hinfahrt hat es auch mal in Strömen geregnet. Aber in Island ändert sich das Wetter ja stündlich. Irgendwann wird auch die Sonne wieder mal ein paar Strahlen herabwerfen. Langsam tuckern wir nun mit dem Boot durch den See, vorbei an den riesigen Eisbrocken in hellblau, dunkelblau, weiß oder in von Asche gefärbtem schwarz. Es wirkt wie ein surreales Trümmerfeld, als hätte eine Granate in einer Glaspyramide eingeschlagen. Am Rand des Sees sind kleine Eisbrocken angeschwemmt, sie liegen auf dem dunklen Geröll wie Diamanten auf einem Samtkissen. 

Auf dem Jökulsarlon in Island. Foto: Wolfgang Bürkle

Je näher wir der großen Eiszunge auf dem flachen Berghang kommen, umso beeindruckender werden die Eismassen im Wasser um uns. Ein paar Vögel drehen ihre Runden über dem See. Irgendwo sollen sich auch Robben tummeln. James Bond war schon hier, Lara Croft ebenso. Wir stehen in leuchtend orangenen Rettungswesten auf dem Schiff, kommen aus dem Staunen kaum noch raus. Die Distanzen sind kaum einzuschätzen. Unser Schiff muss zu den großen Blöcken genügend Abstand halten - nicht das noch ein Teil davon herabbricht und das Boot beschädigt. Ein leichtes Rumpeln in der Ferne, irgendwo ist ein eisiges Kunstwerk gebrochen. Sonst passiert nicht viel, es scheint, als schippern wir durch ein Museum, die Eisberge sind die Exponate, jedes anders, jedes lädt zum Verweilen und Interpretieren ein. Zu meinen Füßen dümpeln gemächlich kleinere Brocken durch die Lagune. Einer davon wird für uns herausgefischt, in kleine Klötzchen geschlagen. Jeder bekommt ein Stückchen, kann sich anschauen, wie es schmilzt, kann auch an diesem Teil lecken, das geformt wurde, als Amerika noch unbekannt, Marco Polo nicht geboren und der Buchdruck eine ferne Phantasie war. Es schmeckt wie ein stinknormaler Eiswürfel - nur das Gehirn sagt mir, dass die eingeschlossenen Bläschen die Luft von vor 1000 Jahren enthalten. 

Auf dem Jökulsarlon in Island. Foto: Wolfgang Bürkle

Wir fahren mit dem Boot immer näher an die Gletscherzunge heran, die wie ein riesiges weiches Lammfell aussieht, dabei jedoch unaufhaltsam in Veränderung ist. Ein Gigant, der sich stoisch und fast unsichtbar immer weiter schiebt, dann irgendwann für einen kurzen Moment zu einem lauten Fauchen ansetzt und seine kalte Brut freisetzt. Reflexionen, Formen und Farben verteilen sich. Gerade noch kalbten sie krachend von der großen Gletscherzunge herab, nun treiben die Eisbrocken langsam und scheinbar friedlich auf dem leicht salzigen See, ballen sich vor der Engstelle unter der Straßenbrücke, werden immer kleiner, bis sie schließlich eins werden mit dem Atlantik. Die majestätische Pracht versinkt, die Kunstwerke der Natur werden ausradiert.

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This article in English: www.wbuerkle.de/news/a-piece-of-glacier-ice-please-at-jokulsarlon-in-iceland/

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