Stell dir eine Hobbithöhle vor: dunkel und gemütlich an der Seite eines Hügels. Oder Luke Skywalkers Heim auf Tatooine: verwinkelt und zweckmäßig unter der Erde. Oder besser: eine Felsenstadt in Kappadokien - ja, das ist vielleicht ein angemessener Vergleich. Ein Vergleich für das, was es auf Gran Canaria noch zuhauf gibt. Denn auf dieser kanarischen Insel leben Menschen nicht im Boden, oder in kleinen niedrigen Höhlen, sondern fast schon wie Bienen, in Höhlendörfern an Felswänden und auf Hügeln. Mit vielen kleinen Räumen, mit halb angebauten Häusern davor. Und das noch heute. Zwar sind es nicht mehr viele Menschen, aber doch ein paar.
Erster Halt auf meinem Roadtrip zu den diversen Höhlenformen ist das Museum in der Schlucht von Guayadeque - ebenfalls schon zum Teil in den Fels gehauen. Hier gibt's einen Einblick in die Geologie der Schlucht, in die Flora und Fauna sowie in die Geschichte der Altkanarier (auch Guanchen genannt), die sich etwa seit dem 9. Jahrhundert in der Gegend tummelten. Schon diese nutzten die teils natürlichen, teils dann von Hand geschaffenen Höhlen zum Leben, Sterben und Begraben - eine Mumie veranschaulicht dies. Der Komfort der Behausungen soll hoch gewesen sein: Durch den oft vulkanischen Ursprung der Höhlen gab es mehr Platz, mehr Licht und eine bessere Belüftung als in Steinhäusern. Der vulkanische Tuffstein ließ sich leicht bearbeiten und zu großen Komplexen verbinden. Viele der Höhlen wurden über Jahrhunderte genutzt - einst waren sie sogar die häufigste Wohnform auf Gran Canaria. Im Museum hält es mich nicht lange, ich fahre die Schlucht weiter, halte dabei Ausschau nach den alten Höhlen, die auf mittlerer Höhe in den hohen Felswänden noch zu erkennen sind. Schließlich erreiche ich den Parkplatz am Höhlendorf Bermeja Cuevas, steige aus und werfe einen Blick auf die "modernen" Höhlenhäuser. Zwar sind die meisten hier wirklich noch in privater Nutzung, einige haben aber einen Laden draus gemacht und verkaufen in der Höhle lokalen Wein, Honig, Nippes und mehr. Ein Glas Honig kommt ins Handgepäck, ein Blick noch in die kleine Höhlenkirche, weiter geht's.
Ich fahre ins Zentrum der Insel, über Berge und durch Schluchten, zu malerischen Städtchen und durch jüngst verbrannte Wälder. Schwarze Stümpfe ragen hier in den Himmel, die Straßenpfosten sind über die Leitplanken geschmolzen. Falls hier "Cuevas" gewesen wären, hätte man sie wohl wie als Backofen verwenden können. Am Rand eines immensen Tals erreiche ich schließlich Artenara, die höchstgelegenste Gemeinde der Insel - und weltweit bekannt für ihre Höhlenwohnungen. Die meisten sind privat, haben "halbe" Häuser, Schuppen und Garagen noch davorgebaut, aber das Höhlenmuseum hat geöffnet - früher eine ganz normale Wohnhöhle, heute ein ethnographisches Museum. Ein älterer Herr gießt gerade die Pflanzen, lächelt mich an und deutet auf die laminierten Infoblätter. Ich nehme mir eins, schlendere durch die Räume, die zeigen, wie hier vor gut 150 Jahren die Menschen lebten und arbeiteten. Gemütlich wirkt die Wohnhöhle, zweckmäßig, wenn auch beengt. Weiß gekalkte Wände, für mehr Helligkeit und gegen Krankheiten. Bilder daran, in einzelnen Nischen stehen hohe Betten, wegen der Feuchtigkeit und um Stauraum darunter zu haben. In den anderen Höhlen wird der Alltag damals gezeigt, vom Töpfern bis hin zur Landwirtschaft. Toiletten gab es damals keine, man "ging zu den Kakteen".
Mein letzter Stopp in Sachen Höhlen sind die Cuatro Puertas im Osten von Gran Canaria. In knapp 300 Metern Höhe auf einem einzeln stehenden Berg sind noch die Reste einer altkanarischen Siedlung zu finden. Markant sind die vier Eingänge, die zu einer größeren Höhle führen - daher auch der Name Cuatro Puertas. Etwas darüber ein Opferplatz, an dem die Altkanarier Zeremonien abgehalten haben sollen, die Blutrinne ist noch deutlich sichtbar. Und auf der anderen Seite die Wohnhöhlen, mit einfachen Mitteln in den rötlichen Vulkanstein gehauen. Es erinnert mich an Teile von Petra, der legendären Nabatäerstadt in Jordanien. Die Sicht ist grandios, aufs Meer hinaus und auf den südlichen Teil der Insel. Zugleich windgeschützt und aufgrund der Höhe schwer einnehmbar. Außer mir ist hier gerade niemand. Schade eigentlich, denn ein wenig mehr Aufmerksamkeit könnte diesem Ort gut tun.
Nach meiner Tour stelle ich mir die Frage, warum nicht mehr Leute in Höhlen leben. Schließlich haben sich Menschen über viele Generationen auf der ganzen Welt in Höhlen zurückgezogen, manchmal wegen Verfolgung oder Krieg, des rauen Klimas wegen oder auch weil die Höhlen einfach schon da waren. Klar, es ist schwieriger, in Erde oder Fels zu graben, als nach oben zu bauen. Der Mensch strebt nach dem Höheren, nicht dem Tieferen - das sieht ja man an den Wolkenkratzern, die immer weiter in den Himmel ragen. Im flachen Rheinhessen gibt es zudem kaum gescheite Berge zum Graben, die Erde besteht nicht aus Stein, in dem sich bequem leben lässt. Es braucht den stabilen, aber leicht zu bearbeitenden Stein, es braucht steile Felsen und Trockenheit - für acht Milliarden Menschen wird es da kaum genug geben. Doch in der Höhle ist es im Winter warm, im Sommer kühl. Sie kann Schutz vor allem Möglichen bieten. Vielleicht finden ja bald wieder mehr Menschen Gefallen an der Idee - nicht nur Bären und Hobbits.
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