Gesichter Äthiopiens: Blicke sagen mehr als 1000 Worte
21.01.2015 15:01Der Krieger weiß, wie er sich hinstellen muss. Und zwar genau so, dass die Sonne ihn schräg von der Seite anstrahlt. Er nimmt einen Strohhalm aus dem Mund, auf dem er gerade noch herumkaute, wirft diesen auf den Boden. Dann schaut er schön finster in die Kamera, mit aufrechter Haltung, eine dünne Holzgerte in der Hand. Der Krieger wartet, bis ich ein paar Fotos gemacht habe. Dann drücke ich ihm fünf Birr in die Hand, umgerechnet knapp 20 Cent. Je nach Motiv, je nach Kostümierung, verlangen die äthiopischen Fotomodells auch mal 10 Birr. Gruppenrabatt ist verhandelbar.
Die Augen der jungen Frau starren mich ebenfalls intensiv an. Ein Blick irgendwo zwischen interessiert, gelangweilt, traurig oder geheimnisvoll. Sie ziehen mich herein, wirken wie ein Sog, der alles andere verschwimmen lässt. Denn auch wenn ihre Brüste in der Hitze teilweise entblößt sind, fällt mein Blick immer nur auf ihre Augen. Was haben sie bereits in ihrem Leben gesehen? Wieviel Leid, wieviel Hoffnung? Wieviele Touristen, die ihr ein paar Birr für das Foto gezahlt haben? Ihr Blick sagt mehr als 1000 Worte. Doch kaum ist die Kamera weggepackt und der Geldschein überreicht, wenden sich die Augen wieder ihrem Alltag zu, irgendwo zwischen Kochen, Kindererziehung und Tiere hüten.
Auch die Augen des kleinen Hamar-Mädchens scheinen mich für einen kurzen Moment zu durchbohren. Wir sind Gast bei der Bullensprung-Zeremonie, mit dem rituellen Auspeitschen der Frauen im Vorfeld. An den Tänzen beteiligt sich das Mädchen schon, ihr Shirt ist hochgekrempelt, man kann sehen, dass sie noch keine wulstigen Narben auf ihrem Rücken hat. In ein paar Jahren wird das anders sein. Unter ihren in Butter, Ocker und Lehm getränkten Haaren starren mich ihre Augen an. Sie wird schon mehrfach erlebt haben, wie weiße Menschen sich um sie drängen und ein Foto von ihr gemacht haben. Wie interpretiert sie unsere Neugier? Welches Bild bekommt sie von aufdringlichen Touristen, die ihre teuren Kameras herumschwenken und sie behandeln wie ein Kunstobjekt?
Wir wollen in Afrika den edlen Wilden finden, unverdorben von der Globalisierung und dem Kapitalismus. Wir wollen ihn in heroischer Pose erleben, vielleicht mit einem frisch erlegten Tier in der Hand. Eine verträumte Illusion. Auf der anderen Seite wollen wir, dass das Leid der Menschen in Afrika demonstrativ zur Schau getragen wird. Wir suchen nach halb verhungert aussehenden Kindern, Frauen mit faulen Zähnen und humpelnden Krüppeln. Lüsterne Sensationsgier. Wen interessiert schon der Durchschnitt, die Realität? Der wohlhabende Unternehmer aus Addis Abeba im Anzug dient zwar auch als interessantes Fotomotiv, stört aber dieses Vorhaben, diese Suche nach Gewalt, Krieg und Armut. Hier im Süden Äthiopiens finden wir aber ein paar gute Darsteller. So ist der leidende Blick der Mutter mit ihren Kindern nur aufgesetzt. Ein paar Minuten vorher verhandelte sie knallhart über ihre Bezahlung für unseren Besuch.
Wir wissen, dass wir im Süden Äthiopiens kein drastisches Elend sehen werden. Aber so ein bisschen Klischee kann nicht schaden. Äthiopien ist ein relativ sicheres Land, derzeit wenig belastet von Krieg und Hunger. Hier gibt es zwar auch landschaftlich reizvolle Punkte, das Interessante aber sind die verschiedenen Völker, mit ihren unterschiedlichen Traditionen. Der Horror des "verlorenen Afrikas" ist nur ein paar hundert Kilometer weiter Realität. Im Südsudan etwa, oder in Somalia. Dort herrschen Hunger und Krieg. Aber eben auch Gefahren für Weiße, die nur mal ein paar Wochen ihrem Alltag entfliehen und etwas erleben wollen. Da bevorzugen wir die Sicherheit Äthiopiens, die Vielfalt der Völker hier. Und deren Bereitschaft, für uns eine kleine Rolle vor der Kamera zu spielen. Krieger, Medizinmänner, die glückliche Familie, das traurige Mädchen. Viele Einheimische haben sich an den Besuch der Weißen gewöhnt, kennen Kameras und Handys, haben sich mit ihrer Inszenierung eine Rolle geschaffen. Manche verkleiden und schminken sich extra für die Touristen. Unsere Fotos zeigen nur den Bruchteil ihrer Geschichte, einen winzigen Moment, der eben manchmal auch nur für das Geld arrangiert ist. Für einen wirklichen Eindruck des Lebens hier reicht die Zeit kaum aus. Denn neben jedem Fotografen steht ein Jeep, der ihn wieder herausbringt, mit den Erinnerungen an einen merkwürdigen Besuch. Und mit Fotos von Gesichtern, die mehr Fragen aufwerfen als beantworten.
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