Glaube, Hass, Pilger und Soldaten: Unterwegs in Jerusalem

14.02.2019 14:13

Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com

Jerusalem, der wohl heiligste Ort der Welt, mit der vielleicht geringsten Spiritualität. Alle kommen hierher, alle wollen diese Stadt sehen. Und ich bin mitten drin, in diesem Moloch. Merkwürdigerweise ist es auf dem Tempelberg an diesem Morgen noch ziemlich leer. Glück gehabt. An der Security geht es flott vorbei, an der Klagemauer sehe ich ein paar Dutzend Menschen. Diverse Gruppen schlendern zwischen Al-Aqsa-Moschee und Felsendom umher, bewundern die riesige goldene Kuppel und den Ausblick in Richtung Ölberg, auf die vielen jüdischen Gräber und den Garten Gethsemane. In diesem Moment wirken alle Besucher nett und gelassen. 

Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com

 

Kurz nach dem Ausgang, in Richtung Via Dolorosa, spüre ich jedoch das erst Mal diese gewisse latente Aggression, diese Wut, die hier überall greifbar scheint. Ein halbes Dutzend jüdischer Halbstarker mit Kippa auf dem Kopf fängt vor mir an, immer lauter zu singen, ein Protestlied. Wollen sie sich damit stärker fühlen, gegen die Unterdrückung rebellieren, oder damit die Muslime in der Nähe provozieren? Erst als sie an der nächsten Ecke einige schwerbewaffnete jüdische Polizisten sehen, hören sie auf zu singen, laufen grinsend weiter. Bewaffnet sind hier nicht nur Armee und Polizei. Auch viele junge Erwachsene in Zivil tragen ihre Gewehre auf offener Straße mit sich herum. Es sind jüdische Soldaten, die in ihrer Freizeit hier zu Besuch sind - aber ihre Waffen auch dabei nicht ablegen sollen - und wollen. 

Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com
 
Auf der Via Dolorosa herrscht dichtes Gedränge. Asiaten, Europäer, Amerikaner - ich höre chinesisch, spanisch, italienisch und texanischen Slang aus dem ununterbrochenen Gemurmel heraus. An vielen Stellen in der Gasse wird es eng, die unterschwellige Aggression trifft auch die Touristen. An den Stationen des Kreuzwegs von Jesus Christus wird gedrängelt und geschubst, an engen Eingängen wird kritisch beäugt, wer als nächstes in der Schlange drankommt. Nur wer eines der vielen großen Holzkreuze geschultert hat, wird als "vorbildlicher" Pilger anerkannt und mit wenig Gemurre durchgelassen. In der gewaltigen Grabeskirche herrscht zumindest an manchen Stellen eine andächtige Stille. Ich suche mir kurz einen Sitzplatz in der riesigen Rotunde und beobachte, wie die Schlange zum eigentlichen (mutmaßlichen...) Grab keinen Meter kürzer wird. "What would Jesus do?" geht mir durch den Kopf - und mir fällt keine Antwort ein. An einigen Plätzen in der Kirche werden andächtig Kerzen angezündet, viele Besucher scheinen sich auch etwas zu erholen vom Trubel der Gassen draußen. 
 
Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com
 
An der Klagemauer ist heute, am Sabbat, im Laufe des Tages eine Menge los. Wie in Trance beten einige Juden vor der steilen Kalksteinwand. Als ich unter dem rechten Bogen, hinter dem eine Synagoge beheimatet ist, hindurch gehe, weht mir ein unerschütterliches Gemurmel entgegen, überall stehen und sitzen die Gläubigen, bahnen sich teils rücksichtslos den Weg zwischen anderen Betenden an Bücherregalen vorbei, um rein oder raus zu drängen. Ein paar Minuten versuche ich hier zu verharren, doch die Enge und merkwürdige Atmosphäre empfinde ich schnell als unangenehm. Mehrere Male werde ich, ohne eine Entschuldigung zu hören, angerempelt. Schnell wieder raus, es warten Sonnenschein und frischere Luft.
 
Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com
 
Im jüdischen Viertel ist am Sabbat im Vergleich zur Via Dolorosa kaum etwas los. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ein paar kleine Jungs spielen Fußball auf dem Hurva-Platz, um einen Tisch sitzen junge Männer und spielen Karten. Die meisten Geschäfte sind geschlossen. Einige Orthodoxe schlendern mit Hut und Anzug über den Platz, wohl auf dem Weg von oder zu einer Synagoge oder der Klagemauer. 
Natürlich gibt es sie in Jerusalem, die spirituellen Orte, ohne Gedränge, ohne wertende Blicke. Etwa in der dunklen St. Jakobus-Kathedrale im armenischen Viertel: eine ruhige besinnliche Aura durchdringt den hohen Kirchenbau, in dem der armenische Gesang sanftmütig und meditativ wabert. Eine schnelle Flucht will ich hier nicht antreten - und auch wenn ich kein Wort der Liturgie verstehe, bleibe ich längere Zeit sitzen und lausche. 
 
Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com
 
Mein Besuch in der Altstadt findet sein Ende in und auf der Davidszitadelle. Ein wunderbares altes Gemäuer, darin ein wenig besuchtes Museum, obendrauf eine Plattform, vor dem man einen grandiosen Ausblick auf die Stadt hat. Ich bin von Jerusalem hin und her gerissen. Diese Fülle an bedeutenden Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen historisch einzigartigen Gebäuden gibt es sonst nirgends auf einem so kleinen Fleck. Doch diese Vielfalt zieht eben genauso vielfältige Menschen an - die sich mitunter in jeder Hinsicht in die Quere kommen. Während in den diversen Gotteshäusern eine gewisse Spiritualität erahnt werden kann, weicht sie auf der Straße dem permanenten ideologischen Kampf um Glaube, Geschlecht, Herkunft, Geld und was auch immer alles. Jerusalem wird gerne in einem Zug als Pulverfass und Sehnsuchtsort bezeichnet. Dieses Klischee trifft voll und ganz zu. 
 
Unterwegs in Jerusalem, Israel. Foto: wanderwithwolf.com
 

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