Harte Hiebe und blutende Liebe - bei den Hamar in Äthiopien
20.11.2014 14:57Das rote Blut zeichnet sich deutlich auf der braunen Haut ab. Fließt langsam aber stetig in einem kleinen Rinnsal den Rücken der jungen Frau hinab, nässt schließlich auch ihren Lendenschurz. Den Schmerz, falls sie ihn denn überhaupt spürt, lässt sie sich nicht anmerken. Sie tanzt weiter, singt weiter, bläst ab und an in ein Horn, an ihren Waden klappern metallene Schellen. Immer weiter, immer im Kreis marschiert, stampft und hüpft sie bei etwa 30 Grad durch die Hitze. Ihre Haare, die von rotem Lehm, Ocker und Butter triefen, glänzen in der Sonne.
Dann taumelt sie wieder auf einen der jungen Männer zu, provoziert ihn, schreit ihn an, fordert ihn heraus. Er ignoriert ihr Gehabe. Sie tanzt weiter, schubst ihn, bis er ihr einen Funken Beachtung schenkt. Plötzlich springt er auf, rennt auf sie zu, hebt eine Weidenrute vom Boden auf. Ihr Tröten, ihr Lachen und Necken gehen weiter. Blitzartig holt der junge Mann aus und schlägt ihr mit voller Wucht das dürre Stück Holz auf den Rücken. Wieder platzt die Haut auf, wieder rinnt das Blut. Ein Teil des Aktes ist abgeschlossen. Er setzt sich hin, sie tanzt weiter, bläst wieder in ihr Horn. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt sie den Schlag und den Schmerz hin.
Es ist ein merkwürdiger Brauch - dieses traditionelle Auspeitschen der Frau hier im Süden Äthiopiens, beim Volk der Hamar. Doch es gehört zum Ritual des Rindersprungs, bei dem ein junger Mann, so wie es der Titel sagt, eben über den Rücken von einigen Ochsen balancieren muss, um seine Männlichkeit zu beweisen. Verwandte sind dabei, die Freunde auch, alle wollen sehen, wie sich der junge Mann präsentiert, ob er nun eine Familie gründen kann. Und die Frauen heizen im Vorfeld mit ihrem masochistischem Tanz die Stimmung auf. Sie alle sind mit dem Springer verwandt, sie alle zeigen ihre Unterstützung für ihn und sein Vorhaben. Gepeitscht werden sie dabei von Männern, die den Sprung schon hinter sich haben, aber noch unverheiratet sind. Je tiefer die wulstigen Narben der Frauen sind, desto uneingeschränkter soll ihre Zuneigung zu ihrer Familie sein.
Ich kann nur mit Staunen diesem Ritus zuschauen. Jeder schnalzende Hieb der Gerten lässt mich zusammenzucken. Doch die Frauen zeigen sich nach Stunden und Tagen des Feierns nur scheinbar unbeeindruckt. Viele sitzen gelangweilt herum oder haben genug von den Hieben. Eine von den blutenden Damen verzieht sich zwischendurch schwitzend und stolpernd in den Busch - vielleicht muss sie pinkeln, vielleicht kotzen. Getrunken hat sie jedenfalls länger nichts. Eine ermüdende Veranstaltung.
Doch die Lust auf die Hiebe und das Blut ist nicht nur bei den Hamar-Frauen vorhanden - sondern auch bei den weißen Menschen, die sich nicht nur im Hintergrund halten, sondern immer näher an die Wunden und an das Geschehen drängen. Je mehr Blut läuft, umso besser, je merkwürdiger das Verhalten des Volkes, desto interessanter für die Kameras. Das erstaunte, angeekelte Glotzen wird zu einem fasziniertem Gaffen. Die lokalen Führer sagen uns, wo wir und hinstellen sollen, damit die Zeremonie möglichst traditionsgerecht weitergehen kann - doch immer wieder tanzt einer der Fremden aus der Reihe, hält die Kamera mitten vor das Gesicht der sich gegenseitig schminkenden Männer. Einer älteren Hamar-Frau reicht es irgendwann. Sie wird wütend, will ihn verscheuchen. Sie hat heute schon oft genug gequält in die Linsen geschaut.
Schlussendlich ist es eine schwierige Gratwanderung: Die Hamar wollen einerseits ihre Tradition fortführen, andererseits sind die Dollars der Touristen zu wichtig, um diese davon auszuschließen. Das Geld, so höre ich heraus, forciert offenbar noch die Häufigkeit, mit der die Veranstaltung fortgeführt wird, nicht zuletzt finanzieren die Familien damit auch die mehrere Tage dauernden Feierlichkeiten um den Rindersprung. Und zweifelsohne ist das Geld auch der Grund, warum die Hamar unsere Anwesenheit überhaupt erdulden - doch manchem Mitglied des Volkes merkt man die Abneigung der Kommerzialisierung an. Kurz vor dem Rindersprung wird so der junge Mann von seinen Verwandten von allen neugierigen Blicken abgeschirmt; und auch direkt nach dem Sprung blafft der Bruder des Springers zu nahe rückende Fotografen an, würde wohl am liebsten nur allein mit ihm nun feiern.
Es ist eine bedenkliche Liaison, die hier entstanden ist. Denn wenn das Geld der schaulustigen Touristen immer weiter an Bedeutung gewinnt, verwässert die Tradition und das Initiationsritual verkommt zu einer brutalen Folklorenummer. Ob es einen Ausweg gibt? Die Tourismusindustrie in Äthiopien jedenfalls wächst so stark wie die Neugier auf das Land. Reisende in den Süden des Landes wird man nicht aufhalten können, es wäre auch scheinheilig, dies zu verlangen. Die Hamar müssen sich wohl oder übel auf zunehmenden Besuch einstellen - und gegebenenfalls die Gerte nicht nur auf den Rücken der Frauen, sondern auch auf die Finger von zu aufdringlichen Fotografen schwingen.
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