Indien - Im Varanasi-Wirrwarr
04.04.2013 22:17Sie trocknet sich ab, mit einem löchrigen roten Stoff, mehr Sari als Handtuch. Erst das Gesicht, dann sorgfältig die langen, dunkelbraunen Haare. Das Mädchen wickelt das Gewebe um sich herum, mummelt sich richtig ein, während ihre Mutter noch größtenteils bekleidet und mit Kopftuch im trüben Wasser des Ganges steht und den Schaum von ihren Händen wäscht. Die Tochter wartet auf sie, friert am frühen Morgen etwas und schaut zu den vielen Booten auf dem Fluss oder zur gemächlich aufgehenden Sonne am anderen Ufer. Die ersten Strahlen fallen auf ihre Stirn. Es ist noch nicht sehr warm am frühen Morgen in Varanasi, zu Beginn der Trockenzeit.
Das Wasser des heiligsten Flusses der Hindus ist frisch. Nicht sauber, vielmehr eine müffelige Dreckbrühe mit Plastiktüten und Müll. Und doch pilgern jeden Morgen tausende Hindus an das Ufer, um sich in Varanasi, ihrer heiligsten Stätte, zu reinigen, mehr spirituell als physisch, und um dort zu beten.
Das Mädchen und ihre Mutter haben sich für ihr Morgenritual eine Stelle herausgesucht, die keine 200 Meter flussaufwärts von den intensiv genutzten Verbrennungsstätten liegt, zwischen wenig fahrtauglichen Schiffshülsen. Der Geruch von verbranntem Fleisch, Holz und Blumen liegt in der Luft, vermischt sich mit dem Ausdünstungen von Mensch und Tier, die ungestört in den Gassen hinter dem Ufer ihre Exkremente liegen lassen.
Im trüben Uferwasser schwimmen orangene Fetzen der Blumenbehänge, die den Leichen auf ihre Gräber gelegt werden und die die Trauernden um den Hals tragen. Viele kleine Holzboote, mit Touristen besetzt, ziehen ihre Runden zwischen den Ghats, den stufenartigen Uferbefestigungen, um die Pilgermassen bei ihrer rituellen Reinigung sowie die Leichenverbrennungen zu beobachten. Alte und Junge, dicke und dünne, haarige und glatte Körper, manchmal verhüllt, viele wenigstens in Teilen nackt.
Die Hindus glauben, dass ein Bad im Ganges vor Sünden reinigt. Die körperliche Hygiene wird durch das muffige Gangeswasser allerdings nicht unbedingt verbessert. Die Waschenden haben sich mittlerweile an die vielen Kameras gewöhnt, die seit Jahren jeden Morgen und jeden Abend ihr Gewitter auf sie herabregnen lassen. Nur an der Hauptverbrennungsstelle steht ein alter Mann mit weißen Haaren und gräulich-gelbem Bart auf einem Boot und blafft die neugierigen Fotografen an, dass sie nicht aus zu geringer Distanz ihre Bilder schießen, sondern Respekt zeigen sollen. Denn sonst könne die Seele der Toten nicht ungestört den schwelenden Körper verlassen.
Nachdem ich am Ufer aus dem Boot ausgestiegen bin, gehe ich durch ein paar enge Gassen. Vor einem Haus liegen getrocknete Kuhfladen schön aufgereiht in der Sonne. An einem anderen Gebäude sind Nischen eingelassen, mit rot verschmierten Ganesha-Reliefs darin, Zeichen des Glücks. Und überall riecht es nach Exkrementen oder Räucherstäbchen - oder Räucherstäbchen, die versuchen, den Exkrementduft zu überdecken. Denn viele Inder, ihre Kühe und ihre Hunde pinkeln und kacken zumeist da, wo sie gerade stehen und gehen. Keine Hauswand ist vor ihnen sicher, kein Hoftor, kein Tempel und kein Baum. Büsche werden gemieden, es könnte sich ja eine Schlange gestört fühlen. Aus dem Bus heraus sehe ich in Indien an einem Tag so viele freipinkelnde Männer an den Straßen, das ich mit dem Zählen kaum nachkommen könnte. Der Putz an vielen Mauern hat auf dem unteren halben Meter einen gelblichen Ton angenommen und ist bröckelig geworden. Viele Städte und Dörfer haben direkt an der Straße kostenlose öffentliche Stehtoiletten eingerichtet, aber auch die können nur einen Teil der Ausscheidungen der 1,3 Milliarden Inder aufnehmen.
Die engen Gassen in Varanasi stinken nicht nur nach Fäkalien, sie sind wie das Nass des Flusses auch voller Müll. Gut, dass ich keine Sandalen anhabe. Der pingelige Besucher muss aufpassen, wo er hintritt, er hüpft geradezu um die braunen Haufen herum. Eine Frau schwingt einen Eimer mit trüben Wasser aus ihrem Hauseingang auf die Straße und spült den Dreck so ein paar Meter weiter. Schnell weg von hier, aus diesem stinkenden Ghetto, zurück zu dem Fluss, zurück zur relativen Stille, die nun herrscht, wenn der Trubel des morgendlichen Waschens abebbt. Dann ist das Ufer fast leer, man findet Platz, um sich hinzusetzen, die weiter steigende Sonne zu verfolgen und die nächsten Masseure, die einem die Hand zur Demonstration der Künste geben wollen, zu verscheuchen. Das Mädchen und ihre Mutter sind längst in den verwinkelten Gassen verschwunden. Einige bunte Blüten treiben auf dem Gangeswasser, sie tanzen auf den gelblich-schaumigen Wellen und entkommen dem Wirrwarr vom Varanasi.
Besucht im November 2012.
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