Von Aleppo aus fuhren wir am Euphrat vorbei nach Palmyra. Es war ein milder Novembertag im Jahr 2008. Auf dem Weg sahen wir die markanten Pumpen der Ölfelder und wir besuchten die ziemlich unbekannte Ruinenstadt von Resafa. Eine entspannte Fahrt, selbst als wir einen wertvollen Greifvogel irgendwo in der Wüste vor sich hin dösen sahen - nach einem hastigen Stop wollte unser Fahrer diesen hinterrücks mit seiner Jacke einfangen, er wäre tausende von Euro wert gewesen, doch der Vogel war schneller. Am späten Nachmittag erreichten wir Palmyra. Das Hotel war irgendwo in der umtriebigen Innenstadt, aber vielleicht gerade einen Kilometer fußläufig von den antiken Ruinen entfernt. Nach dem Abendessen war mir langweilig. Und obwohl es dunkel war, beschloss ich, mir die Ruinen bei Nacht anzuschauen, alleine, vor der offiziellen Besichtigung am nächsten Tag. Ich hatte keine Angst, alle Syrier, die mir bislang begegnet waren, verhielten sich gastfreundlich und zuvorkommend.
Schon am Kreisel am Ortsausgang merkte ich allerdings, dass hier keine Menschenseele mehr unterwegs war. Nur am Zenobia Hotel fuhren noch ein paar Taxis ein und aus, sonst hatte ich die Ruinen dahinter ganz für mich alleine. Keine Security, keine fliegenden Händler, keine Kameltreiber. Die Luft war warm, kaum ein Lüftchen wehte. Die Säulenstraße war ebenso von Strahlern erleuchtet, wie der nachts geschlossene Baal-Tempel, das Amphitheater und die arabische Zitadelle auf dem Berg. Alles war gut erkennbar. Der Mond warf zudem ein bläuliches Licht durch die langsam vorbeiziehenden Wolken herab. Knapp zwei Stunden wanderte ich umher, hüpfte auf den fast 2000 Jahre alten Steinquadern am Wegesrand herum, machte Fotos und kam mir vor, wie auf einem riesigen Abenteuerspielplatz. Niemand sonst war da, nur ein paar Taxis und Motorradfahrer fuhren am Unesco-Weltkulturerbe vorbei. Ich ging die Kolonnadenstraße entlang, warf einen Blick durch die Gitter des Amphitheaters und betrachtete die Beschaffenheit des Torbogens, der auf jedem prominenten Foto der Ruinen zu sehen ist. Es war eine gute Vorbereitung auf den nächsten Tag, als ich mir die Sehenswürdigkeiten mit anderen Menschen teilte. Nicht nur wissbegierige Touristen waren hier, auch syrische Schulklassen ließen sich von ihren Lehrern im Baal-Tempel die Hintergründe der Ruinen erläutern.
Nun, im Mai 2015, haben die tobenden Islamisten vom IS Palmyra erobert. Sie haben auf ihrem Kriegszug schon mehrere Monumente gesprengt, zerschlagen, vernichtet, darunter Hatra und Nimrud. Und natürlich stelle ich mir die Frage: Werden die wütenden bärtigen Männer auch Palmyra verwüsten? Und darf ich mehr Angst um die drohende Zerstörung von unwiederbringlichen Kulturgütern haben, als um die unzähligen Menschen, die geköpft, erschossen, versklavt oder vergewaltigt werden? Was ist grausamer: das alltägliche Morden, das uns abgestumpft hat, oder die Zerstörung einiger historischer Steine, an die ich noch so gute Erinnerungen habe? Sind die Menschen der Kollateralschaden, oder die Ruinen? Natürlich kann man zynisch sagen, dass Menschen ein "nachwachsender Rohstoff" sind. Dennoch sind Menschen nicht "unwichtiger", als die Bruchstücke längst vergangener Zivilisationen. Der IS hat uns schon per Youtube gezeigt, wie Menschen geköpft werden. Und als wir uns daran gewöhnt haben, hat er mit Vandalismus demonstriert, dass er auch keinen Respekt vor alten Göttern und deren Tempeln hat.
Doch mit diesem Vandalismus zerstört der IS Dinge, die uns heute heilig sind - nämlich die Ruinen und Steine. Uns geht es ja nicht mehr um Baal, um Jupiter, oder um die ganzen anderen Götter. Uns geht es um die kulturellen Hinterlassenschaften, um beeindruckende historische Bauwerke, die von der Entwicklung der Menschheit zeugen, aus einer Zeit, als an Mohamed noch nicht zu denken war. Das heutige Syrien war schon immer ein umkämpftes Gebiet - zwischen Rom und Persien, zwischen Israel und Babylon, zwischen Arabern und Byzantinern. Kunst, Kultur und Religion trafen hier aufeinander und verschmolzen. Palmyra ist ein Sammelsurium von östlichen und westlichen Einflüssen, ein Zeichen der Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz von Religionen und Völkern. Jedenfalls bis zum jüngsten Bürgerkrieg und dem Resultat, dass sich der IS hier ausbreitet.
Die Zerstörung der unersetzlichen Zeugnisse, der von ihnen verhassten Götzenbilder, richtet sich direkt an uns, sie ist gleichzusetzen mit Bilderstürmen oder Bücherverbrennungen. Demonstrativ soll unerwünschte Kultur zunichte gemacht werden, so wie es vielfach auf dieser Welt, auch in Deutschland, geschehen ist und immer wieder geschehen wird. Deswegen der Vandalismus, deswegen das Morden von ganzen Bevölkerungsgruppen.
Natürlich frage ich mich, was die sogenannte westliche Welt tun kann. Sind noch mehr Soldaten eine Lösung? Bomben drauf und gut ist? Darf der Feind (Assad) des Feindes (IS) unterstützt werden, um sich zu verteidigen? Oder resignieren wir und schauen tatenlos zu - lassen wie die Fanatiker toben, bis sie den ganzen Nahen Osten in ihrer Gewalt haben? Müssen wir uns damit abfinden, dass diese Völker und die unersetzbaren Monumente vergänglich sind und genauso nieder gemacht werden, wie es in der Geschichte eben vorkommt? So tragisch es ist, Verhandlungen nützen nichts mehr. Und spätestens wenn der IS Damaskus in seiner Hand hat, sein Kalifat weiter ausbreiten will und vor der israelischen Grenze steht, wird es keine Alternative mehr zu verstärkten militärischen Interventionen geben. Der Atomwaffensperrvertrag gilt schließlich nicht für Israel - und abschrecken lassen sich die IS-Terroristen bekanntermaßen nur sehr schwer.
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