Johannes Gutenberg - vom Genie zum Relikt. Eine Suche in Mainz.
14.02.2016 11:58
Der Dom spiegelt sich in der Pfütze vor dem Theater in Mainz wieder. Mit dem Fuß schiebe ich ein durchweichtes Kippenpäckchen beiseite, um die Spiegelung im Wasser ein wenig zu vervollständigen. Denn leicht verdeckt war die Statue von Johannes Gutenberg, sein prächtiger Rauschebart, seine komische Mütze. Irgendwie erinnert mich seine Skulptur auf dem nach ihn benannten Gutenbergplatz manchmal an den Weihnachtsmann. Aber Gutenberg ist keine ausgedachte Figur. Er ist der Mann des vergangenen Jahrtausends. Erfinder des modernen Buchdrucks und Begründer der Medienrevolution in Europa. Er war ein Genie. Und irgendwie ein ständiger Begleiter - vor allem, wenn man in Rheinhessen lebt.
Wer durch die Mainzer Innenstadt läuft, wird ihm zwangsläufig begegnen. Der größte Platz, eben hier am Theater, wurde nach ihm benannt - und fast jeder Bus in Mainz fährt an einem normalen Tag an seiner Statue nahe des Doms vorbei. Zu Gutenbergs Füßen habe ich Silvester gefeiert, zu Fastnacht getanzt, Brezeln gegessen oder auf Shopping-Touren flaniert. So ganz ignorieren kann man ihn nie, nur als die Statue mal für eine Restaurierung entführt wurde, hinterließ die Lücke ein merkwürdiges Gefühl. Denn könnte dieses Denkmal von 1837 sprechen - es hätte aus den vergangenen knapp 180 Jahren vermutlich so einiges zu erzählen. In seinem Rücken ein Fastfood-Tempel, vor ihm das Theater. Demos laufen an ihm vorbei, Besuchergruppen blicken ihn an, Tauben setzen ihm zu. Und einmal im Jahr bekommt er für ein paar Tage eine Narrenkappe aufgesetzt.
Spätestens als ich mehrere Jahre lang in der nach ihm benannten Universität studierte, sah ich Gutenbergs Gesicht fast täglich - die berühmte Büste auf dem Campus, die von Studenten auch schon mal gerne mit einer Mütze oder einem Schal versehen wird. Irgendwann fällt einem die Büste gar nicht mehr auf, wie selbstverständlich ist sie ein Teil der Anlage geworden, nicht anders wie ein Gullideckel. Erst wenn sie fehlt, wird auch hier ein Bohei drum gemacht, etwa als die Büste im April 2015 von Rabauken vom Sockel gestoßen wurde. Den Mann des Jahrtausends schubst man nicht einfach um. Selbst wenn sein Werk zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Jeder hat Bücher, jeder nutzt Bücher, jeder kann heute Bücher für wenig Geld drucken lassen.
Eine Art Pilgerstätte ist das Gutenberg-Museum, im Zentrum der Stadt, auch in Sichtweite zum Dom. Schon lange hatte ich nicht mehr dieses Museum besucht - als Teenager, bei Schulausflügen, fand ich es dort furchtbar langweilig. Ich hatte auch nur noch die putzigen Miniaturbücher im Gedächtnis, die im Shop verkauft wurden. Nun, knapp 20 Jahre später, wollte ich einfach mal schauen, wie sich das Museum und meine Sicht auf die Dinge geändert hat. Kaum dort angekommen, wurde ich direkt eines besseren belehrt: Denn mehrere Schulklassen waren ebenfalls dort - und wie bei mir damals, strahlten die meisten der Schüler eine umfassende Unlust aus. Einige äußerten diese lautstark mit Furzgeräuschen und Pöbeleien während einer kurzen Filmvorführung. Viele spielten auf ihren Handys. Mir kam der Gedanke, dass ein Strategiespiel mit Gutenbergs Namen eine verlockende Wirkung auf sie hätte - "Sim Druckerpresse" oder "Die Drucker von Mainz" vielleicht ...
Doch was bedeutet es heute, dass Gutenberg der Mann des vergangenen Jahrtausends ist? Ein Relikt der Vergangenheit? Ein kreativer Urahn von Mark Zuckerberg oder Bill Gates? Ich stelle mir vor, er springt von seinem Sockel am Gutenbergplatz herab. Ein munterer Kerl, vielleicht ein bisschen vorlaut wie der Fastnachtscharakter Guddi Gutenberg. Ich stelle mir vor, er läuft in den nächsten Laden, mit neugierig blinzelnden Augen, und sieht dort einen E-Book-Reader. Unbeholfen berührt er das Display, streicht darauf herum. Dann poppt ein kleines Quadrat mit einem "B" drauf auf, darunter steht "Bibel". Aufmerksam klickt er auf das Symbol, liest einen Abschnitt dieses Buches der Bücher, eine Digitalversion seiner Werke, mit üppigen Verzierungen, aber mit Buchstaben, die ihre Schriftart ändern können, mit bewegten Bildchen, mit Ton, der ihm den Text vorliest. Ich glaube, er würde lächeln. Denn auch in der digitalen Zeit lebt seine Schöpfung weiter.
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