Kamerun - Bei den Baka-Pygmäen

14.04.2013 14:43

Der Arm steckt bis zur Schulter in der feuchten Erde. Die Hand des Pygmäen tastet sich im Loch entlang, greift im warmen Boden immer wieder ins Leere, auf der Suche nach Spuren der Buschratte. Irgendwo hier drin hat sie sich verkrochen. Sie weiß, dass wir sie jagen, sie weiß, dass ihr Leben in Gefahr ist. Ihr ausgedehnter Bau unter einem der riesigen Bäume hier im kamerunischen Regenwald hat mehrere Ausgänge. Vor einem steht ein weiterer Dschungeljäger mit einem Speer in der Hand, zwei Hunde tänzeln aufgeregt und mit gespitzten Ohren um weitere Löcher im Boden. Die Buschratte soll sich bewegen, nur einen Mucks geben, dann ist ihr Schicksal besiegelt - schließlich soll sie die nächste Mahlzeit bereichern.


Die Pygmäen essen eigentlich alles, was der Regenwald hergibt. Sie leiden keinen Hunger, finden Fleisch in Form von Buschratten, Affen, Echsen oder auch Stachelschweinen, sie fangen Fische, essen Kräuter, Wurzeln, Früchte und vieles mehr. Aus den Dörfern in der Nähe kaufen sie nur Kleidung, Reis, Salz, Lampenöl, Seife, Alkohol und Tabak. Die letzten drei Dinge müssten sie noch nicht einmal erwerben - sie zeigen mir eine Baumrinde, die wie Seife schäumt und mit denen sie Kleidung reinigen können. Alkohol könnten sie selbst aus Palmen oder verschiedenen Getreidesorten produzieren, anstatt Tabak könnten sie auch verschiedene getrocknete Blätter rauchen. Alles ist im Wald vorhanden, das Wissen über die Kräfte der kamerunischen Natur sowieso, seit Jahrhunderten überliefert. Aber der Fortschritt macht auch vor den Buschvölkern nicht halt. Die gekauften Dinge vereinfachen ihr Leben: Die T-Shirts aus der Altkleidersammlung sind billig und bequem, der Gin, den sie schon morgens aus dem Zehn-Liter-Kanister trinken, berauscht sie stärker, schneller und intensiver als Palmwein. Das Geld für ihren "Luxus" bekommen sie von Besuchern, von Verwandten, die den Busch hinter sich gelassen haben, oder von dem, was sie im Wald finden und an der Straße oder im nächsten Ort mehr oder weniger legal verkaufen können.

Doch der Wald und damit der Lebensraum der Pygmäen wird immer kleiner. Auf dem Weg, dem wir zu ihrem Lager einige Kilometer südlich vom Badeort Kribi folgen, sind bereits große Schneisen geschlagen. Auf den Straßen Kameruns fahren hunderte Laster, auf denen gigantische Baumstämme liegen, aus den Wäldern unterwegs in Richtung der Häfen. Die Rücksichtslosigkeit und Gier kennt wenige Grenzen: Denn auch die Tschad-Kamerun-Pipeline, die 2007 fertig gestellt wurde, geht mitten durch das Land. Trotz gelegentlichem Protest fließt das Öl durch die Berge und die Wälder der "Achselhöhle Afrikas" - sogar mitten durch archäologisch bedeutsame Gebiete und ungeachtet der Probleme, die durch den Bau der Pipeline entstanden (siehe Material der AG Tschad: www.erdoel-tschad.de). Selbst die einst unterstützende Weltbank hat mittlerweile eingesehen, dass der Profit nicht den Menschen entlang der Pipeline zugute kommt, sondern nur die Reichen reicher macht.
 
Die Pygmäen in Kamerun haben keine Lobby im Staat, es gibt nur wenige Fürsprecher und eigentlich gelten sie auch gar nicht als "richtige" Bevölkerungsgruppe - wobei es in Kamerun über 270 verschiedene ethno-linguistische Gruppen gibt. Allein schon das Wort "Pygmäe" ist als Sammelbegriff für eine Vielzahl afrikanischer Völker so unbrauchbar wie das Wort "Neger". In Kamerun gehören die "kleinen Leute" den Baka (oder BaAka) an, einer Untergruppe der Mbenga. Die paar festen Hütten, die wir im Süden von Kribi aufsuchen, sind dabei eine Art Stützpunkt für viele Familien, die als Jäger und Sammler in den noch vorhandenen Wäldern ihr abgeschiedenes Leben führen. Sie kennen keine Grenzen, sprechen kaum Englisch oder Französisch, haben (noch) keine Zukunftsängste und leben - es klingt klischeehaft, ist aber so - von einem Tag zum nächsten. Alles finden sie Regenwald, an den Wasserläufen, im Dickicht, dass sie mit ihren Macheten in der Hand durchqueren. Mit der einen Baumrinde heilen sie Malaria, mit der anderen lindern sie Schmerzen. Manche Blätter halten wach, andere machen träge. Wir schneiden eine Liane durch, aus ihr fließt klares Trinkwasser, Plastikflaschen braucht hier keiner.

Bei den Baka-Pygmäen in Kamerun. Foto: Wolfgang Bürkle
In den Löchern am Boden regt sich etwas. Der Baka-Jäger stochert nun mit einem dürren Ast in der rotbraunen Erde herum, lauscht ab und zu, stochert zielstrebig weiter. Dann ein Rascheln, eine schnelle Bewegung, ein Speer saust herab und trifft die Buschratte am Kopf. Blut fließt heraus, sie zuckt noch ein wenig, ein Schlag mit der Machete und das Tier, so groß wie eine kleine Katze, kommt schließlich in den umgehängten Beutel. Die Baka freuen sich, schließlich sind sie nicht bei jedem Erdloch erfolgreich. Manche sind verlassen, gelegentlich schafft es ein gehetztes Tier auch, vor seinen Verfolgern zu fliehen.

Die Baka von Kamerun haben es nicht so leicht, vor ihrem Untergang zu fliehen. Südlich von Kribi, nahe der Grenze zu Äquatorial-Guinea, entsteht derzeit ein Tiefseehafen, der Mitte 2014 auch mit chinesischer Unterstützung fertig gestellt werden soll (www.kribiport.cm). Ein Mega-Projekt, dass dem Staat zwar durch den Export von Rohstoffen viele Einnahmen bescheren kann, die Flora und Fauna in diesem Bereich an der Küste aber erheblich in Mitleidenschaft zieht. Bedenken zur Verträglichkeit von Tiefseehafen und einem einst geplanten Wasserschutzgebiet, die auch schon der WWF im Jahr 2008 geäußert hat, wurden vom damaligen Staatssekretär abgetan, mit der Bemerkung: "Es ist nur eine Frage des richtigen ,Space-Managements'." (WWF - Kudu-Zombo News, August 2008). Fünf Jahre später sieht man: Jahrhundertealte Bäume werden gefällt, neue Straßen gebaut und in absehbarer Zeit werden hier vermutlich, so wie an den Straßen nördlich von Kribi, lukrative Bananen- oder Palmölplantagen entstehen. Während die sesshaften Bewohner der Strandsiedlungen - etwa bei Ebodje, wo bislang auch Meeresschildkröten ihre Eier ablegen - durch die vermehrt strömenden Arbeiter, eine verbesserte Infrastruktur und die wertvoller werdenden Strandabschnitte profitieren können, bleibt den Waldvölkern wie den Baka nur die Flucht weiter ins Landesinnere, etwa in den noch geschützten Campo-Ma'an Nationalpark. Wenn sie denn wollen.

Am Abend sitzen wir im Baka-Camp am Lagerfeuer, die Luft ist merklich angenehmer und weniger schwül, als noch einige Stunden vorher. Durch die Blätter weht ein lauer Wind, ein paar Regentropfen prasseln von den großen Blättern hernieder. Ein großer Baumstamm liegt vor einigen Baka, sie trinken Bier und Gin, reden miteinander, lachen, zeigen sich erfreut, erbost. Irgendwann nimmt einer einen kleinen Ast und beginnt auf dem großen Stamm rhythmisch zu trommeln. Es dauert nicht lang, bis die anderen mit einstimmen, mal lauter mal leiser ertönt das hölzerne Donnern in einem hypnotisierenden Takt. Plötzlich tritt eine verhüllte Gestalt in unseren Kreis, im Schein des Feuers kaum erkennbar ein Baka-Kind in einem blättergeschmückten Bastkostüm. Wie in Trance fällt er immer wieder in sich zusammen, richtet sich dann sprunghaft zum Trommelklang auf und lässt die Glöckchen an seinem Fuß erklingen. Ein anderer Baka springt aus der Menge in den Kreis, er brüllt das Wesen an, tanzt um ihn herum, will den Geist des Waldes betören oder vertreiben. Es ist ein Ritual, Jahrhunderte alt, oft praktiziert. Durch ihre Musik erzählen sie ihr von ihrem Leben, sie danken der Natur, sie geben ihr Wissen, ihre Traditionen und ihre Geschichten weiter. Und auch wenn wir an diesem Abend ein Teil davon sind, bleibt uns letztlich nur die Rolle des Besuchers, des Weißen, der in ihr Revier vordringt und ein paar Aspekte ihres Daseins aufnehmen will. Unser kurzer Einfluss auf sie wird gering bleiben, der Einfluss der gierigen Globalisierung verändert ihr Leben aber jetzt schon drastisch. Sie werden ihr Schicksal mit den American Natives, den Maori, Aborigines und Yanomami teilen.  

 

Bei den Baka-Pygmäen in Kamerun. Foto: Wolfgang Bürkle
 

Weitere Quellen:
- Greenpeace Factsheet 12/2004: "Esso zerstört Afrikas Natur für den Bau der Tschad / Kamerun Pipeline"
- "Pipeline for the people? Bilanz des Erdölprojektes Tschad/Kamerun" von Birgit Morgenrath, 21.09.2008, https://www.heise.de/tp/artikel/28/28741/1.html
- "Vertreibung. Uralte Baka-Kultur in Kamerun in Gefahr" von Ngala Killian Chimtom, 10.08.2012, https://dw.de/p/15fbS
- "Bradt Guide - Cameroon" von Ben West, 2011

Besucht im März 2013.

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