Klippen, Esel und ein Kreuzweg: An der Küste von Santo Antao
12.12.2018 12:50
Welchen Sinn macht das Wandern noch für den modernen Menschen? Schließlich haben wir doch Autos, Fahrräder, Züge, Eselskarren und andere Dinge, die uns mehr oder weniger bequem von A nach B bringen können. Ist es ein Ruf der Natur, der unser Innerstes zum Laufen bewegt? Wollen unsere Sinne durchs Wandern im Freien befreit werden? Oder sehen wir das Wandern als Sport, als mitunter anstrengenden Zeitvertreib fernab des hektischen Alltags? Das Wandern ist des Müllers Lust, heißt es seit Dekaden. Wandern, Pilgern, Rennen, Joggen, Laufen - der Bewegungsdrang der Menschen flacht nicht ab.
Eine 19 Kilometer lange Wanderung nach Ponta do Sol liegt vor mir. Ich bin in einer kleinen Pension im Dörfchen Cha de Igreja auf der kapverdischen Insel Santo Antao aufgewacht, es gab kein fließendes Wasser und die Toilette quoll stinkend über. Also schon mal ein wunderbarer Start in den Tag. Das Dorf liegt nahe der nördlichen Küste der Insel, eine grüne Landschaft voller Berge und Täler, mit Wäldern und Geröll, Feldern und kleinen Dörfchen. Ein Paradies für Wanderer, die gerne viele Höhenmeter abspulen. Der Küstenwanderweg, der heute vor mir liegt, ist da nicht anders. Wenn ich sonst Küste höre, denke ich an flache Sandstrände, vereinzelt ein paar kleine Felsen zum Draufhüpfen, oder auch mal einen Mangrovenhain. Die Nordküste von Santo Antao bietet Felsen. Und Klippen. Und riesige Wellen, die volle Latte dagegen krachen. Zwar gibt es auch immer mal wieder ein paar Meter Strand, doch zum Relaxen ist das nichts - dank potenziellem Steinschlag und dem Plastikmüll, der es auch schon bis hierher geschafft hat. Santo Antao (und die anderen Inseln der Kapverden) liegen mitten im Atlantik, gut 500 Kilometer vor der afrikanischen Westküste.
Kaum läuft man von Cha de Igreja los und nähert sich der Küste, stößt man auf einen Friedhof, der durch seine grandiose Lage zwischen steilen Klippen auf jeder populären Insel sofort einem 5-Sterne-Hotelpalast weichen müsste. Der erste Teil meiner Wanderung ist ... nett. Eher flache und breite Wege, vorbei am Fischerdorf Cruzinha, der Müllmann und die Seniorin am Fenster grüßen. Nach den ersten Kilometern wird es sandig - und schließlich anstrengend. Der Weg wird schmaler und steiler, geht im Zickzack die Klippen hoch und runter. An einigen Stellen geht es über 50 Meter senkrecht zum Atlantik hinab. Buchten und Schluchten durchfurchen die Klippen, und was Luftlinie keine zehn Kilometer sind, wird durch die Schlangenlinien schließlich eine Laufstrecke von knapp 20 Kilometer.
Etwa auf halbem Weg ragen einige Klippen wie riesige Pyramiden in den Himmel. In deren Schatten stehen verlassene Häuser - Ruinen mitten am Ozean. Aranhas nennt sich dieser Abschnitt. Durch die mangelnde Infrastruktur ist das Leben hier kein Zuckerschlecken - es gibt keine Straßen für Autos, kein Internet, Strom und fließendes Wasser sind Mangelware. Waren müssen mühsam zu den noch bewohnten Haus-Ansammlungen gekarrt werden, per Schiff, per Motorrad, zu Fuß oder per Esel. So auch nach Forminguinhas, wo ich eine Mittagspause einlege. Vereinzelte Strandabschnitte wirken zwar auch hier auf den ersten Blick verführerisch, die Brandung und die Strömung verheißen aber eher Lebensgefahr. Der Weg geht weiter direkt an den Klippen entlang, teils in die Felsen gehauen, teils in tiefstem Schatten, teils in schwindelerregender Höhe.
Die Hoffnung, dass die Wanderung nun vorbei ist, zerschlägt sich schnell. Erst geht es wieder etwas abwärts, dann wieder aufwärts, an kleinen Feldern vorbei, die jeden Steilhang-Winzer vor Neid erblassen lassen würden. Ein paar Schüler springen mir wohlgelaunt entgegen, die laufen hier jeden Tag in Flipflops entlang, von Corvo den steilen Kreuzweg hoch und nach Fontainhas, dann mit dem Kleinbus weiter zur Schule, nachmittags wieder zurück. Jeden Tag diese Strecke hin und zurück - definitiv ein gutes Training. Ich genehmige mir in Fontainhas erstmal einen halben Liter Limo, füttere ein paar Katzen mit Essensresten, und mache mich dann auf den restlichen Weg nach Ponta do Sol, nochmal eine gute dreiviertel Stunde Fußweg. Die Stadt verspricht den Komfort, den ich die letzten Tage im Hochland von Santo Antao vermisst habe. Ich stolpere an Schweineställen entlang, dann an einem jüdischen Friedhof vorbei, durch enge Gassen zur Strandpromenade, die wie ein französisches Fischerdorf erscheint. Schließlich das Hotel, endlich wieder fließendes Wasser und ein nicht knarrendes Bett. Nach 19 Kilometern und gut sechs Stunden Wandern bin ich da - werfe die Schuhe in die eine Ecke, die durchgeschwitzten Socken in die andere und lege mich erstmal hin.
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