Kuba - Der Duft der Zigarren
19.05.2013 14:13In Havana.
Die Nachbarsmädchen rennen in ihren bunten Kleidchen barfuß über das heiße Kopfsteinpflaster in der engen Gasse zwischen den hohen Hauswänden. Der hellblaue Putz bröckelt, darunter graue Steine, die hölzernen Türen knarzen in den Angeln, der Rost breitet sich auf dem Balkongeländer aus. Die Mädchen spielen fangen oder verstecken, sie kichern zusammen am laufenden Band. Aus einem Fenster blickt das verschrumpelte Gesicht eines alten Kubaners, der in seinen braunen Händen eine ebenso braune Zigarre hält, deren Rauchschwaden sich kreisförmig verspielt den Weg in den Himmel bahnen. Der intensive Duft strömt zu mir herüber, neben dem Tabak riecht es nach brennendem Holz mit einem Hauch Vanille.
Am Abend vorher bin ich in Havana angekommen, bin in das kleine Hotel in der Nähe der Kathedrale San Cristóbal abgestiegen, eines mit offenen Innenhöfen, einem riesigen Baum darin, aber immerhin mit Klimaanlage auf den Zimmern. Denn schon morgens ist die Luft so drückend schwül, das nach ein paar Minuten das T-Shirt am Körper klebt. Als ich mich nun nach dem Frühstück auf den Weg in Richtung Straße zum Sightseeing machen will, winkt mir der Portier in der leeren Empfangshalle zu, er blickt sich verstohlen um, flüstert mir zu: "Hey, you want cigars? I give you good price ..."
Klar weiß er, dass ich ein Tourist bin, der kaum Spanisch sprechen kann - was liegt da näher, als mir direkt Zigarren zu verkaufen, neben Rum das bekannteste Produkt der kubanischen Insel. Ein kleiner Nebenverdienst für ihn, natürlich nicht offiziell. Über 100 verschiedene Zigarrenformen werden auf Kuba hergestellt, in dutzenden Manufakturen und unzähligen Qualitäten. Die Touristen suchen vor allem die bekannten Marken: Montecristo, Cohiba, Romeo y Julieta.
Ich frage den Portier also ebenso flüsternd, welche Marken er mir denn verkaufen kann. Wieder blickt er sich verstohlen um. Dann führt er mich leise ein wenig von der Tür weg und deutet mir an, dass ich in den kleinen Garderobenraum neben der Rezeption gehen soll. Ich mache das Spiel mit, dass er wahrscheinlich mit jeden zweiten männlichen Tourist zelebriert - Frauen sind nicht seine Zielgruppe. Er schließt die alte Stahltür hinter mir, macht einen Lichtstrahler an und wühlt in einem Regal hinter mehreren Jacken. Dann zieht er eine Kiste vor und öffnet sie. Er nimmt erst eine riesige Box Cohibas heraus, dann eine Schachtel mit kleineren Tubes mit Romeo-y-Julieta-Zigarren. "I give you very good price", wiederholt er leise, ergänzt dann aber: "But only today." Na klar - ich komme mir vor wie auf dem Markt von Marrakesch. Er fragt mich, an welchen ich Interesse hätte. Ich muss nicht lange überlegen, ich wollte ja sowieso welche besorgen, also kann ich das auch schon bei ihm erledigen, über die ungefähren Preise hatte ich mich schon vorsorglich informiert. Ich deute also erst auf die Cohiba-Box aus Holz, darin 25 Stück der begehrten Zigarren, nicht so lang wie die Dinger, die Fidel Castro raucht, aber immerhin schon gute 15 Zentimeter. Die Box ist versiegelt, auf ihr mehrere Aufkleber und Stempel, die die Echtheit garantieren.
90 CUC will er für die Kiste haben, also die an den Dollar angeglichene Touristen-Währung auf Kuba. Das sind mir zu viel, aber der Preis ist in Ordnung, wenn man bedenkt, dass eine solche Zigarre alleine in Deutschland rund 20 Euro kostet. Einzelne davon will er mir nicht verkaufen, nur die ganzen Box lohnt sich für ihn. Ich lehne also erst mal ab.
Dann frage ich nach den Dreierboxen mit den Tubes. Er sagt, ich könnte fünf von den Boxen für 45 CUC haben. Ich muss überlegen, schließlich kostet so eine Romeo in Deutschland gut fünf Euro. Der Portier merkt, dass ich zögere und rechne. Schließlich sage ich, dass ich ihm 20 CUC für neun Tubes gebe. Jetzt fängt er an zu rechnen - schließlich muss er abwiegen, wieviel Profit er noch machen kann. Nach weiterem hin und her einigen wir uns auf 22 CUC. Er gibt mir die Packungen und deutet an, dass ich alle Tubes öffnen soll, um mich von der Qualität der Zigarren zu überzeugen. Ich bin zwar kein Experte, tue aber so. Rieche an jeder einzelnen, schaue mir das Deckblatt und die Verarbeitung an. Ich kann keinen Grund zur Klage finden, stecke die Zigarren in meinen Rucksack und gebe ihm das Geld bar auf die Hand.
Dann frage ich ihn, wieviel Gewinn er nun gemacht hat, denn so ganz zufrieden schaut er nicht aus. Doch er zuckt mit der Schulter und antwortet, dass es wohl etwa vier CUC sind. Für uns Europäer nicht viel Geld, für ihn aber schon ein guter Tageslohn. Er hat die Zigarren von einem Freund, der in einem der Fabriken arbeitet. Am nächsten Tag werde ich mir auch eine ansehen. Dort oder im offiziellen Laden hätte ich etwas mehr bezahlen müssen. Ich bedanke mich somit beim Portier, er sich auch und wir gehen, nachdem er noch einen verstohlenen Blick in das Foyer geworfen hat, aus der kleinen Kammer raus.
In den bunten Straßen der Altstadt von Havana, die ich in den nächsten Stunden erkunde, höre ich noch häufiger das "Psst!" verbunden mit der Frage, ob ich inoffizielle Zigarren kaufen will, bei ein paar günstigen Cohibas greife ich noch zu. Nur einmal will man mir käufliche Liebe anbieten, eine dicke überschminkte Frau in einem Souvenirladen, doch darauf verzichte ich lieber und gönne mir stattdessen einen Mojito auf dem Dach vom Hotel Ambus Mundos in Sichtweite zum Plaza de Armas. In diesem Hotel lebte Hemingway in den 1930ern mehrere Jahre lang und schrieb die ersten Kapitel seines Buches "Wem die Stunde schlägt" in Zimmer 511. Wieviele Zigarren er dabei wohl rauchte? Wieviele Mojitos er dabei wohl trank? Denn das Rum-Getränk ist in Havana an jeder Straßenecke erhältlich, ein paar Minzblätter, Zucker, Limonensaft, ein guter Schuss Rum und Sodawasser mit etwas Eis. Ergänzt sich wunderbar mit dem Aroma einer Cohiba. Der Blick vom Hotel Ambus Mundos fällt auf den Hafen und auf die vielen baufälligen Gebäude mit kaputten Dächern, rostigen Leitern und zersprungenen Fenstern.
Havana glänzt nicht, es ist eine arme abgewrackte Stadt. Nur wenige der einst pastellfarbenen kolonialen Fassaden sind renoviert und lassen erahnen, wie schön die kubanische Hauptstadt einst gewesen sein muss. Heute zieht sich der Schimmel die Stockwerke hoch, die hölzernen Treppen sind morsch und die Balkone drohen abzufallen. Die meisten Kubaner zucken über diese offensichtlichen Missstände mit den Achseln. Dafür ist kein Geld da. Das Geld, was sie sich verdienen, wird für Essen, für Kleider, für Rum oder zum Feiern ausgegeben. Wen kümmert schon die Zukunft, die Kubaner leben im hier und jetzt, sie rauchen, sie trinken, sie tanzen und singen. Und sie hoffen auf die Touristen, denen sie im Hinterzimmer ihre Zigarren verkaufen können.
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Besucht im Juli 2012.
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