Lava, Wein und geile Aussicht: Auf dem Vulkan Fogo

12.11.2018 12:29

Der Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com

Welches Gefühl verspürst du, wenn sich Lava unaufhaltsam deinem Haus, deinem ganzen Besitz nähert? Langsam, zäh, nicht zu stoppen, wird sie in wenigen Augenblicken dein ganzes Hab und Gut unter sich begraben und vernichten. Die Zerstörung ist unausweichlich. Verspürst du Angst oder Wut, oder ist es vielleicht Hass oder Gleichgültigkeit? 

Ich bin auf Fogo, eine Insel der Kapverden, die eigentlich nur ein riesiger Vulkan ist, 26 Kilometer breit und am (derzeitigen) Krater des Vulkans 2829 Meter hoch. Auf diesem immer mal wieder aktiven Vulkan und seinen Ausläufern leben gut 40.000 Menschen - davon wohnen mehrere hundert direkt in der großen Caldera "Cha das Caldeiras" am Fuß des Pico de Fogo. Der letzte Ausbruch dauerte mehrere Monate von 2014 bis 2015 - und sein Lavastrom begrub Teile der Ortschaften in der Caldera unter sich. Die meisten Anwohner hielt das nicht davon ab, hier wohnen zu bleiben. Manche versuchten, ihr Haus wieder auszugraben, andere nutzten den abgehärteten Lavastrom als "Deko" für ihr Haus, bauten an oder einfach oben drauf. Die meisten Bewohner leben alltäglich mit dieser Unsicherheit - sie wollen nicht weg, denn dies ist ihre Heimat. 

Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 
Die Welt in der Cha das Caldeiras ist eigentümlich: Überall sind kleinere Vulkankegel, dazwischen viel graue Asche und Geröll - und darauf wachsen Pflanzen, grün und saftig. Wundervolle Weinreben gedeihen an den Hängen und werden in einer Kooperative zu einer roten und einer weißen Cuvee gekeltert, die beide durchaus lecker sind. Morgens zieht der Nebel langsam vom Meer hinein in die Caldera, löst sich später auf, mittags ziehen die ersten Wolken über den Himmel und am Abend hört man vereinzelt melancholische Morna-Lieder durch die Straßen wabern. Das Wasser stammt aus Zisternen, die den Regen auffangen, oder wird per Tanklaster hierher gebracht. Der Strom wird von Generatoren erzeugt, erst langsam beginnt man, Solarpanels zu nutzen. Ein einfaches Leben im Schatten des Pico de Fogo.
 
Der Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 
Ich bin natürlich nicht nur hier, um den Wein zu trinken und die zerstörten Häuser zu sehen - ich bin hier, um den Pico de Fogo zu besteigen. Ein steiler, fast perfekter Kegel, der sich von der Caldera noch einmal gut 1200 Höhenmeter in den Himmel reckt. Wüsste ich nicht um die Tatsache, dass hier jeden Tag Menschen hochklettern, hätte ich gesagt "Keine Chance, viel zu steil" und hätte mir die nächste Flasche Vinho aufgezogen. Doch so zieht es mich an einem Morgen um kurz nach 5 Uhr aus dem Bett, um nur wenig später im lilafarbenen Licht der Dämmerung den Aufstieg zu beginnen. In Serpentinen, über Geröll, Asche und große Felsbrocken hinweg, teils rutscht man mehr zurück, als man vorankommt, geht es langsam voran, aufwärts, den Blick zumeist auf die wenigen Meter vor den eigenen Füßen gerichtet. Ein kleiner Hund begleitet uns, rennt immer mal wieder vorneweg und zurück, hoffend auf kleine Streicheleinheiten oder einen herunterfallenden Snack. 
 
Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 
Die Anstrengung, aber auch die Aussicht lässt mich auf dem Weg nach oben immer wieder stoppen, nach Luft ringen und den Puls herunterbringen. Die Häuser des Ortes werden immer kleiner, auch die Wahrnehmung verschiebt sich: Ein kleinerer Vulkankegel, der eben noch riesig erschien, ist nur wenige Minuten später nur noch wie ein Pickel in der Caldera. Der Weg zur Spitze wird mit jedem Höhenmeter anstrengender, irgendwann muss ich auch die Hände einsetzen, um mich schwitzend und außer Puste über die Geröllbrocken zu hieven. Nach knapp drei Stunden dann erreiche ich den kleinen Krater des Pico de Fogo. Ich blicke hinein - und bin enttäuscht. Keine brodelnde Lava, kein Tor zur Hölle, nur ein paar kleine rauchige Schwefelpupse kommen aus dem nicht gerade tiefen Schlot in meine Richtung gezogen. 
 
Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 
Also erstmal hinsetzen und den Blick schweifen lassen. Links unten die Häuser von Cha das Caldeiras, dahinter die steil aufragenden Wände der äußeren Caldera. Rechts unten das Stückchen Nebelwald Monte Velha, das sich fast bis zum Meer hinzieht, bis zur Stadt Mosteiros, über der sich gerade Wolken zusammenziehen. Es gibt nicht viele Plätze auf dieser Welt mit dieser Aussicht, von knapp 3000 Metern bis auf Normalnull in so kurzer Distanz. Ich bin stolz, es bis hier oben geschafft zu haben, denn nicht nur einmal fluchte ich über den steilen Anstieg und dachte an eine vorzeitige Rückkehr. 
 
Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
Der kleine Hund hechelt wieder vorbei und schaut neugierig auf meine Schokokekse, die aber wenige Sekunden später in meinem Mund verschwinden. Zucker für meine ermattenden Glieder. Doch die Zeit zum Abstieg kommt: Wieder einen Teil des Wegs zurück, dann beginnt das Aschefeld, das heruntergesprungen und -gerutscht wird, wie eine große und steile Sanddüne - aber viel, viel länger. Auf halbem Weg runter bekomme ich Krämpfe in den Beinen, muss mich setzen und dehnen, bevor ich mit schmerzverzerrtem Gesicht weiter wie ein breitbeiniger Affe die Aschebahn herunterhüpfe. 
 
Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 
Nun sind die Häuser von Cha das Caldeiras auch wieder deutlich erkennbar. Wäre ich Lava, hätte ich wohl einen ähnlichen Weg den Vulkan herunter eingeschlagen, hätte aber nicht krampfend pausiert, sondern wäre der Schwerkraft folgend zügig auf die niedriger gelegenen Teile der Caldera zugesteuert und hätte alles unter mir begraben. Egal ob Haus, Auto, Pflanze oder Mensch, nichts wäre mir entronnen. Und deine Gefühle? Sie wären mir egal, denn nichts kann mir entrinnen. Die Natur schert sich nicht um sowas, sie folgt nur ihren eigenen Gesetzen. Meine Gefühle hingegen sind nach dem Auf- und Abstieg irgendwo zwischen Euphorie, Schmerzen und dumpfer Gleichgültigkeit. Gut, wenn die nächste Flasche Vinho de Fogo nicht weit weg ist. 
 
Am Vulkan Fogo auf den Kapverden. Foto: wanderwithwolf.com
 

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