Ich bin auf Reisen ein Getriebener. Ich kann nicht lange stillsitzen, wenn ich in einer neuen Stadt, einem weiteren Land bin. Ich muss herumlaufen, die Gassen sehen, die Plätze begutachten, die Sehenswürdigkeiten abklappern. Einen Blick in Kirchen werfen, durch Museen hetzen, Highlights suchen. Ein richtiger Power-Tourist eben. Acht Stunden am Stück durch Prag laufen, vom Wenzelsplatz durch die Altstadt, hoch zum Hradschin, weiter zum Petrin-Turm und über die Karlsbrücke wieder zurück, ohne große Pause, egal, ob ich am nächsten Tag Blasen an den Füßen habe. Gar kein Problem. An einem Tag noch morgens Schloss Hellbrunn in Salzburg besichtigen, direkt weiter nach Burghausen, zur längsten Burg der Welt, am Nachmittag dann noch den Dom in Passau besuchen und zur Veste Oberhaus stiefeln. Gerne doch! Mehr Input, mehr Daten, mehr Informationen. Carpe diem, nutze den Tag!
Ein Graus für mich ist es, länger als drei Stunden am Strand zu liegen. Grässlich grelle Sonne, Schweiß brennt in den Augen, pure Eintönigkeit. Der klebrige Sand kriecht in alle Ritzen, lärmende Kinder spritzen mit Salzwasser. Was zur Hölle tue ich also hier auf Mallorca - dieser Insel für Rumlieger und Partypeople? Werde ich vielleicht alt?
Nun, es war eine eher spontane Entscheidung, ein paar Tage frei gehabt, ein günstiges Angebot, irgendwie mal hierher. Irgendwas muss ja die Faszination ausmachen, die jedes Jahr Millionen von Touristen auf diese Insel im Mittelmeer strömen lässt. Und Abenteuer gibt es hier bestimmt auch. Ich bereitete mich trotzdem nur wenig vor, beschließe, mich zumindest ein wenig treiben zu lassen, etwas Muße zu finden, vielleicht mal wieder Ausspannen. Doch kann ich das überhaupt noch an einem fremden Ort? Oder rafft mich die Langeweile hinfort?
Es ist Ende August, gerade noch so Hochsaison. Der Flieger ist voll, ich steige in einem Hotel in Can Pastilla ab, nahe des Flughafens, direkt zwischen Palma und Arenal. Der erste Rundgang wird gemacht, das Wetter ist nicht zu heiß, die Lokale am Strand entgegen der Befürchtung nicht zu voll. Kulinarische Extravaganzen erwarte ich nicht, letztendlich bieten fast alle Restaurants an der langen Promenade ähnliche Gerichte an. Schnitzel, Pasta, Pizza, Burger - Tapas, Fisch und Sangria für das Spanien-Feeling. Das Eimer-Saufen gibt es ja gottseidank nicht mehr. Und hier, einige Strände nördlich des Ballermann 6, rennen zumindest keine betrunkenen Junggesellenabschiedsgruppen herum. Eigentlich ganz beschaulich, der erste Eindruck stimmt. Mit besonderer Exotik habe ich ja eh nicht gerechnet.
Ich versuche es also mal mit Erholung. Mit Badelaken und Sonnenbrille geht es raus, dorthin wo gefläzt wird. Doch schon nach einem Tag an Strand und Pool kommt ein unmissverständliches Gefühl von Sinnlosigkeit in mir hoch. Die Produktivität vieler Stunden belief sich auf das Lesen einer Zeitschrift, ein wenig Schwimmen, Essen und Trinken. Ich vermisse das Gefühl, wirklich etwas Neues erlebt zu haben. Mallorca muss ja schließlich mehr hergeben: Also geht es am nächsten Tag mit dem Fahrrad nach Palma. Zur Kathedrale durch die City, dann am Hafen vorbei und hoch zum Castell de Bellver. Schließlich wieder zurück, schlagskaputt und durchgeschwitzt - aber glücklich und zufrieden über das Auspowern und das Gefühl, nicht faul gewesen zu sein. Endlich ein "produktiver" Tag - in meinen Augen zumindest. Abwechslung ist meine Droge, das zeigt auch ein folgender "Gammeltag". Ich versuche Zerstreuung in der Nähe zu finden. Mal zu einem anderen Strand, mal noch ein paar Gassen weitergehen, oder doch nur mal eine andere Gaststätte ausprobieren? Alles ist möglich, wenn es auch nur kleine neue Erfahrungen sind.
Der Tag mit Herumgammeln geht dahin. Doch zwangsläufig stellt sich wieder dieses Gefühl von Nutzlosigkeit ein. Also einen Mietwagen für den nächsten Tag gechartert, den Westen abgegrast, durch das Tramuntana-Gebirge nach Valldemossa, Soller und so weiter. Dutzende Fotos geschossen, endlich fühle ich mich wieder in meinem Element. Lass doch die anderen bräsig am Strand herumliegen, ihre dicken Bäuche und Tanga-Hintern in den Himmel recken und gelegentlich Abkühlung im Wasser suchen. Mir egal, das aktive Reisen lässt mich leben! Auch den letzten Tag auf Malle will ich nicht sinnlos vergeuden. Wieder aufs Rad, diesmal die Ballermänner abklappern. Wie Sardinen liegen die Menschen eng gedrängt auf dem hellen Sand. Vor und wohl auch in den einschlägigen Sauftempeln ist schon mittags die Hölle los. Ich radle weiter, klappere noch ein paar Geschäfte ab, beobachte torkelnde Junggesellenabschiede mit grellbunten Hüten und Shirts. Nicht meine Welt. aber zumindest habe ich sie gesehen, diese hedonistische Dekadenz am Ballermann.
Und wieder stelle ich fest: Dieses faule Nichtstun, den ganzen Tag lang herumhängen, ist nichts für mich. Höchstens nach einem Besichtigungsmarathon lege ich die Füße hoch, mit einem Bier oder Wein im Kopf, wenn die Schuhe ausgezogen sind, die Waden schmerzen. Dann kann ich etwas atmen, ein paar Minuten lesen, oder die Glotze anschalten. Oft kreisen hier noch die Gedanken weiter - habe ich alles gesehen, was ich sehen wollte? Habe ich was vergessen? Sollte ich die Fotos nicht doch noch schnell sortieren und bearbeiten? Oder muss ich mir kurz Notizen machen, für einen Blog-Beitrag? Calm down .. oder doch carpe diem?
-----
Nix verpassen? Lust zu einem Kommentar? Follow me here:
Facebook
Instagram
Twitter