Romeo, Julia, Dante und Busengrabscher: Ein Tag in Verona
26.10.2022 11:43
Danke, Shakespeare. Schon Julia sprach zu Beginn der zweiten Szene in Capulets Garten: „Weh mir!“ Ein Ausspruch, der zu meinem Besuch in Verona, im Norden Italiens, passte. Volle Gassen, laute Menschengruppen, lange Schlangen und Busengrabscher. Nein, es war wirklich keine gute Idee, an einem Samstag im Spätsommer nach Verona zu fahren. Wir parkten im südlichen Teil der Altstadt, liefen durch die Via Tezone zur Piazza Brá vor der Arena und dort ging das Getümmel schon los. Überall Touristen, viele Selfie-Jäger und einige Verkäufer. Auch die Zeugen Jehovas hatten sich dazu aufgemacht, unter einem schattenspendenden Baum stehend, einige Passanten abzugreifen.
Meine Partnerin und ich wollten eigentlich ein paar Stunden gemächlich durch die Altstadt bummeln. Doch aus der erhofften Beschaulichkeit wurde nichts: Der Strom der Menschen trieb uns unerbittlich voran, durch die proppenvolle Via Giuseppe Mazzini, vorbei an den ganzen hippen Designer-Geschäften. Kaum Zeit zum Verweilen, kaum Platz zum Treibenlassen. Immer wieder mussten wir ausweichen oder den entgegenkommenden Fußgängern die Schulter aggressiv entgegenstrecken, um uns in der Masse zu behaupten.
Schließlich erreichten wir die Via Cappello, ein wenig außer Atem, zudem bereits sichtlich genervt, und gingen dorthin, wo es jeden Besucher Veronas irgendwann hintreibt: zur Casa di Giulietta – Julias Haus. Eine Mischung aus Legende, Marketing und romantischem Wallfahrtsort. William Shakespeare, der wohl nie hier war, machte mit „Romeo und Julia“ Verona zur Stadt der ewigen, aber tragischen Liebe – und genau das treibt die ganzen Menschen hierher. Viele Besucher drängelten sich nun in den engen Innenhof eines mittelalterlichen Palazzos, um den „berühmten“ Balkon zu sehen, der eigentlich erst vor knapp hundert Jahren an das Haus montiert wurde. Glaube, Sehnsucht, Hoffnung – irgendwas mit Liebe, das kommt immer gut an. Und die Statue einer hübschen jungen Frau, die man betatschen kann, ist da auch nicht verkehrt. Angeblich bringt es einem Glück in der Liebe, wenn man Julias rechte Brust hält oder reibt. Und das taten die Anwesenden – gefühlt mehr Frauen als Männer – auch, grinsend und für Fotos lächelnd.
Die Casa di Giulietta selbst entpuppte sich als ein ordentlich renoviertes Museum, in dem man sich auf dem Balkon (der einst wohl Teil eines Grabes war) fotografieren lassen kann. In den weiteren Räumen sind ein paar alte Wandgemälde, Skulpturen und ein pompöses Bett zu sehen. Um den Julia-Mythos zu bekräftigen, soll der Palast immerhin der Cappello-Familie (bzw. Cappelletti) gehört haben, einer reichen Veroneser Familie, die als Vorbild für die Capulets in Shakespeares Tragödie gedient haben soll.
Wir hielten uns nur kurz hier auf, gingen dann wieder runter auf die Straße, weiter zur Piazza delle Erbe, zwischen Marktständen hindurch und schließlich auch zur Dante-Statue auf der Piazza dei Signori. Noch ein weiterer Touristenmagnet, der unbedingt fotografiert werden muss – auch wenn Dante Alighieri in Florenz geboren wurde und in Ravenna starb. Etwa sieben Jahren soll der Dichter zu Beginn des 14. Jahrhunderts hier in Verona verbracht und Teile der „Göttlichen Komödie“ geschrieben haben. Mit ihm begann wohl auch ein Stück der Legende – denn Dante erwähnt in der „Komödie“ die Familien Montecchi und Cappelletti, auf die sich möglicherweise Shakespeare mit den Montagues und Capulets bezieht. (Fegefeuer, Sechster Gesang: Komm her jetzt, der Montecchi Stamm zu schau’n, Leichtsinniger, komm, sieh die Capelletten, Die schon gebeugt, und die voll Angst und Grau’n!)
Etwas abseits von Dante und Julias Balkon wurden die Gassen an diesem Samstag nur wenig leerer. Erst an der Porta Leoni ließ sich etwas durchschnaufen. Am Fluss Etsch dann waren kaum noch Menschen an der Promenade unterwegs. Doch Hitze und physische Anstrengung, dazu noch eine geschlossene Arena, zollten ihren Tribut – und meine Partnerin und ich begaben uns abseits der Hauptwege langsam zurück zum Auto. Vielleicht lohnt ein Wiederkommen, aber nicht mehr an einem Wochenende im Spätsommer. Von Verona verabschieden kann ich mich dann wohl mit den Worten Romeos: "Leb wohl! Kein Mittel laß ich aus den Händen, Um dir, du Liebe, meinen Gruß zu senden."
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