Stürmische Wildnis im Süden Chiles: Unterwegs im Torres-del-Paine-Nationalpark

30.11.2017 13:49

Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle

Der Wind weht böenartig um mich herum, manchmal schiebt er mich plötzlich ruckartig zur Seite, dann wieder bläst er mir frontal ins Gesicht. Die ganze Zeit, ohne Unterlass, spüre ich das Brausen. Ich ziehe die Kapuze etwas enger, vergrabe die behandschuhten Hände weiter in der Hosentasche. Büsche und Bäume bieten dem Wind hier, im Torres-del-Paine-Nationalpark im Süden von Chile, kein Hindernis - sie sind verbrannt, verdorrt und knorrig. Und durch die Form der Berge und Gipfel scheint er regelrecht ins lustige Wirbeln zu kommen. Erst als ich durch eine kleinere Talsenke stapfe, nimmt der stürmische Wind etwas ab, lässt mir Zeit, um durchzuatmen und um die Kamera heraus zu nehmen. Denn fast immer im Blick sind die Torres, die drei nadelartigen Granitberge inmitten weiterer Berge, die heraufragen wie ein teuflischer Dreizack. Wegen dieser einzigartigen Bergwelt, den Gletschern und der Tierwelt, bin ich eigentlich hier in Patagonien. Fast am Ende der Welt, dort wo nur wenige Menschen leben, aber viele das Abenteuer in gefühlter Einsamkeit suchen. 

Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle


Noch am Vortag war grandioses Wetter, der Nationalpark machte seinem Namen, der übersetzt "Türme des blauen Himmels" heißt, alle Ehre. Der Grey-Gletscher lag in seiner vollen Pracht am gleichnamigen See im Sonnenschein vor mir. Bläulich-weiß schimmerte das Eis, meterhoch trieben riesige abgebrochen Brocken durch den See, auf dem das Ausflugsschiff seine Bahn zog. In meinem Pisco Sour schwamm ein Stückchen Gletschereis - uralt und dennoch frisch und glasklar. Doch auch hier war der Wind schon ein ständiger Begleiter: um am Bug des Schiffes ein Foto zu schießen, musste ich mich für einen festen Stand an der Reling festkrallen. Um ein Haar hätte es mir die Abdeckkappe der Linse weggeweht. Die chilenische Fahne hinter mir peitschte wie wild und hing am äußersten Ende bereits in kleinen Fetzen. 
 
Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle

Und heute? Die Wanderung in Richtung Camp Italiano begann am Refugio Paine Grande zumindest mit ein wenig blauem Himmel. Doch schon nach wenigen Metern Fußweg vom Lago Pehoé entfernt die Erkenntnis: heute wird's sehr durchwachsen. Die Kapuze auf dem Kopf, der Blick auf dem schotterigen und matschigen Boden, Handschuhe angezogen. Erst eine Anhöhe, mehrere Stufen, dann ein paar Kurven. Einzelne Regentropfen klopfen bereits an meine Kapuze. Zwischen den Bergzinnen ziehen erste hellgraue Nebel- und Wolkenschwaden immer schneller dahin, schließlich wird es immer dunkler. Irgendwann sind die Spitzen der Berge nicht mehr zu sehen. Scheiss Sicht, scheiss Wetter. Und dann kommt scheiss Laune dazu. 
 
Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle
 
In Patagonien sollen alle Witterungen in wenigen Stunden erlebbar sein, heißt es. Warte 20 Minuten und aus Sonnenschein wird Regen, aus starkem Wind eine leichte Brise, sagen sie. Pustekuchen. Ich sehe nur noch eine graue Wand vor mir, die sich immer weiter aufbäumt. Ein paar andere Wanderer kommen mir entgegen, sie sind auf dem Rückweg, haben die vergangene Nacht im Camp Italiano gezeltet. Sie sehen so durchfroren und lustlos aus, wie ich mich fühle. Entmutigt schlurfe ich weiter, über Schottersteine, Wurzeln und Matsch. Tier sind heute kaum unterwegs, ein paar Greifvögel ziehen in der Ferne ihre Kreise, aber Guanakos und Nandus haben offensichtlich keine Lust, sich hier den Bauch mit Grünzeug vollzuschlagen.
 
Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle 

Irgendwo in der Mitte der Laguna Skottsberg setze ich mich auf einen Stein, esse einen Müsliriegel und schaue leicht genervt gen Horizont. Die dunklen Wolken links von mir werden immer dichter, während ganz weit entfernt auf der rechten Seite, weit hinter dem Lago Pehoé, ein paar blaue Stellen durch die Wolkendecke dringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch hierher ziehen, ist extrem gering. Ein paar Minuten bleibe ich sitzen, bemerke, wie der stürmische Wind immer neue wilde Muster auf die dunkle Wasseroberfläche zeichnet. Ich beschließe umzukehren, der Frust hat gesiegt und die Einsicht, dass es mit einem schönen Ausblick vorerst nichts wird. 
 
Ich marschiere zurück, denselben Weg. Das immer düster werdende Wetter verstärkt die mystische Atmosphäre mit den knorrigen Bäumen im Nebel. Vor ein paar Jahren gab es hier einen Brand - und bis sich die Natur davon erholt, dauert es lange. Zurück am Lago Pehoé betrete ich den Speiseraum der Paine Grande Lodge. Endlich kein Wind mehr. Weitere Wanderer haben sich hier niedergelassen, um der Ungemütlichkeit draußen zu entgehen. Nachdem ich einen überteuerten Cappuccino geordert und die Jacke auf den Tisch vor mir geworfen habe, lasse ich mich seufzend auf einen wackligen Holzstuhl nieder. Durch die Scheibe kann ich die Wolken in unvorstellbarem Tempo durch das Bergmassiv ziehen sehen. Und nur wenige Minuten später blitzt ein Stück blauer Himmel dort auf, wo ich noch vor etwas über einer Stunde genervt fluchte. Die Torres-Nadeln erscheinen, es öffnet sich der Blick auf steiles Gestein und blitzendes Eis. Mutter Natur hat hier sichtlich ihren Spaß, die Laune der Natur ist eben nicht immer mit der Laune der Wanderer vereinbar.
 
Im Torres-del-Paine-Nationalpark in Chile. Foto: Wolfgang Bürkle
 

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