Stürmische Wildnis im Süden Chiles: Unterwegs im Torres-del-Paine-Nationalpark
30.11.2017 13:49
Der Wind weht böenartig um mich herum, manchmal schiebt er mich plötzlich ruckartig zur Seite, dann wieder bläst er mir frontal ins Gesicht. Die ganze Zeit, ohne Unterlass, spüre ich das Brausen. Ich ziehe die Kapuze etwas enger, vergrabe die behandschuhten Hände weiter in der Hosentasche. Büsche und Bäume bieten dem Wind hier, im Torres-del-Paine-Nationalpark im Süden von Chile, kein Hindernis - sie sind verbrannt, verdorrt und knorrig. Und durch die Form der Berge und Gipfel scheint er regelrecht ins lustige Wirbeln zu kommen. Erst als ich durch eine kleinere Talsenke stapfe, nimmt der stürmische Wind etwas ab, lässt mir Zeit, um durchzuatmen und um die Kamera heraus zu nehmen. Denn fast immer im Blick sind die Torres, die drei nadelartigen Granitberge inmitten weiterer Berge, die heraufragen wie ein teuflischer Dreizack. Wegen dieser einzigartigen Bergwelt, den Gletschern und der Tierwelt, bin ich eigentlich hier in Patagonien. Fast am Ende der Welt, dort wo nur wenige Menschen leben, aber viele das Abenteuer in gefühlter Einsamkeit suchen.
Noch am Vortag war grandioses Wetter, der Nationalpark machte seinem Namen, der übersetzt "Türme des blauen Himmels" heißt, alle Ehre. Der Grey-Gletscher lag in seiner vollen Pracht am gleichnamigen See im Sonnenschein vor mir. Bläulich-weiß schimmerte das Eis, meterhoch trieben riesige abgebrochen Brocken durch den See, auf dem das Ausflugsschiff seine Bahn zog. In meinem Pisco Sour schwamm ein Stückchen Gletschereis - uralt und dennoch frisch und glasklar. Doch auch hier war der Wind schon ein ständiger Begleiter: um am Bug des Schiffes ein Foto zu schießen, musste ich mich für einen festen Stand an der Reling festkrallen. Um ein Haar hätte es mir die Abdeckkappe der Linse weggeweht. Die chilenische Fahne hinter mir peitschte wie wild und hing am äußersten Ende bereits in kleinen Fetzen.
Und heute? Die Wanderung in Richtung Camp Italiano begann am Refugio Paine Grande zumindest mit ein wenig blauem Himmel. Doch schon nach wenigen Metern Fußweg vom Lago Pehoé entfernt die Erkenntnis: heute wird's sehr durchwachsen. Die Kapuze auf dem Kopf, der Blick auf dem schotterigen und matschigen Boden, Handschuhe angezogen. Erst eine Anhöhe, mehrere Stufen, dann ein paar Kurven. Einzelne Regentropfen klopfen bereits an meine Kapuze. Zwischen den Bergzinnen ziehen erste hellgraue Nebel- und Wolkenschwaden immer schneller dahin, schließlich wird es immer dunkler. Irgendwann sind die Spitzen der Berge nicht mehr zu sehen. Scheiss Sicht, scheiss Wetter. Und dann kommt scheiss Laune dazu.
Irgendwo in der Mitte der Laguna Skottsberg setze ich mich auf einen Stein, esse einen Müsliriegel und schaue leicht genervt gen Horizont. Die dunklen Wolken links von mir werden immer dichter, während ganz weit entfernt auf der rechten Seite, weit hinter dem Lago Pehoé, ein paar blaue Stellen durch die Wolkendecke dringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch hierher ziehen, ist extrem gering. Ein paar Minuten bleibe ich sitzen, bemerke, wie der stürmische Wind immer neue wilde Muster auf die dunkle Wasseroberfläche zeichnet. Ich beschließe umzukehren, der Frust hat gesiegt und die Einsicht, dass es mit einem schönen Ausblick vorerst nichts wird.
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