Unterwegs in Indien - der betörende Zauber von Jaisalmer
03.05.2017 09:40Von ferne dröhnt der Klang einer Pungi, der indischen Flöte. Am Gadi Sagar, dem heiligen See von Jaisalmer, sitzt im Schatten eines großen Baumes ein älterer Herr mit grauem Zwirbelbart und Turban, der abwechselnd in seine Flöte bläst, auf einem Seiteninstrument spielt und dazu merkwürdige Geräusche mit seinen Lippen macht. Irgendwas zwischen Blubbern und Rülpsen kommt dabei heraus. Ein skurriles Lied - ungewohnte Klänge, die jedoch gleichsam faszinieren und verwundern. Ein guter Auftakt, um sich auf die indische Stadt Jaisalmer vorzubereiten, die mit allerhand interessanten Dingen den Besucher verzaubern will. Vom Ufer des malerischen Gadi Sagar bietet sich ein erster Blick auf die gewaltige Festung auf dem Berg. Während der Besucher nun erst einmal alle Eindrücke hier verarbeiten muss, füttern einige Inderinnen die Dutzenden Welse, die sich im Wasser tummeln - und die für die paar Krümel schon fast die Mauer erklimmen. Mit ihren großen Mäulern schnappen sie nach allem, was essbar scheint. Und da es heilige Fische sind, können sie hier ungeangelt leben, in diesem menschengeschaffenen Wasserreservoir, umgeben von Tempeln und Treppen aus gelbem Sandstein.
Eine Stadt wie in Tausend und einer Nacht, mitten in der Wüste Thar, mit einer riesigen mittelalterlichen Festung - Jaisalmer zu sehen, betört die Sinne. Die reich verzierten Wohn- und Geschäftshäuser mit ihren Mosaiken lassen mich davon träumen, dass Scheherazade seit Jahrhunderten in einem der bunt bemalten Räume auf einem gestickten Kissen sitzt und traumhafte Geschichten erzählt. Jedes Haus, jeder Platz, jeder See und vermutlich auch jeder Einwohner könnte wohl viele Anekdoten erzählen, von Dieben, von Prinzessinnen, von Helden und wohl auch von Touristen, die diese farbenprächtige Stadt in Indien sehen wollen. Denn die Neugierigen strömen tagtäglich durch die verwinkelten Gassen, vorbei an Teppichhändlern, Schuhhändlern, Gewürzhändlern, Puppenhändlern, Bettlern und Taxifahrern. Sie laufen die geschwungene Straße hoch zur Festung, weichen den rasenden dreirädrigen Tuktuks aus, werfen ein paar Rupien in die Klingelbeutel der fotogen aufgereihten Asketen und hoffen, dass ihnen die Fledermäuse im hohen Torturm nicht auf den Kopf scheißen.
Vor einem der verschnörkelten Geschäftshäusern, einem sogenannten Haveli, zeigt ein junger Magier in traditioneller Montur mit rotem Turban, vielleicht 16 Jahre alt, seine Künste. Ein paar Münzen, zwei Schalen, ein Stock und ein Tuch benutzt er für sein Schauspiel. Erst lässt er eine Münze verschwinden, dann sind es plötzlich mehrere Geldstücke, die er irgendwo herbeizaubert. Er bezieht das Publikum mit ein, lässt die Münzen mal aus Ohren erscheinen oder unter großem Gelächter aus dem Gesäß eines der Touristen fallen. Seine Tricks zieht er in atemberaubender Geschwindigkeit durch, erzählt dabei ein paar Witze in brüchigem Englisch und ehe man es sich versieht, ist die kurze Show schon vorbei. Auch die ringsum stehenden Händler hat der charmante Illusionist in seinen Bann gezogen, selbst wenn sie die Zauberei vermutlich schon Dutzende Male gesehen haben. Ein paar Rupien sind dem jungen Houdini von der Menge gesichert.
Wenige Straßen weiter binden sich ein paar Jungs, die um diese Vormittagszeit eigentlich noch zur Schule gehen müssten, gegenseitig bunte Turbane um den Kopf, angeleitet von ihrem Vater. Als sie damit fertig sind, nehmen sie Trommeln und Schellen in die Hand, fangen an zu singen, zu tanzen und mit den Händen zu schnippen. Sobald keine Touristen mehr zu sehen sind, hören sie auf, atmen tief durch und zählen das gesammelte Bakschisch. Kommt wieder ein Tourist, geht die Tanzerei erneut los. Die Rupien im Schälchen werden immer mehr, am Ende des Tages offensichtlich eine stolze Menge. Die Jungs freuen sich, ihr Vormund ebenso - denn Kinderarbeit bringt das Geld nach Hause. In Indien kein Einzelfall. Aber vielleicht lernen die Jungs nebenher ja doch noch etwas.
In der dreieckigen Festung, dem Fort auf dem Tafelberg, reiht sich ein Souvenirgeschäft an das nächste, Restaurants mit Blick auf die umliegende Wüstenstadt laden zur Einkehr und die Kanonen auf dem Schutzwall zeugen noch von der kriegerischen Vergangenheit. Ein Hund hat es sich auf einer gefliesten Bank unter einem Ganesha-Poster bequem gemacht. Vor einem der berühmten Jain-Tempel ist eine lange Menschenschlange - alle wollen die fein geschnitzten und behauenen Figuren sehen, die seit Jahrhunderten den Reiz dieser Gotteshäuser ausmachen. Ein Miniaturzeichner verewigt langsam und mit ruhigen Händen das Taj Mahal auf einer Bierdeckel-großen Scheibe aus zermahlenem Kamelknochen. Die Pinsel bestehen dabei nur aus ein paar dünnen Härchen, mit denen er die feinen Linien zeichnet. Ein paar Häuser weiter versucht ein Silber-Händler seine Münzen, Ringe und Bestecke loszuwerden - sogar ein BH aus Silberschalen und -ketten ist dabei, den er sich lachend vor die Brust hält.
Am Abend weicht der eher geschäftige Trubel im Fort der Gemütlichkeit. Die niedergehende Sonne taucht die Wände der Häuser in ein goldenes Licht. In den engen Gassen packen die Händler ihre bunten Waren zusammen und schließen die Läden. Die Restaurants servieren den hungrigen Besuchern Currys, Vindalhos und Biryanis, vielleicht auch mal eine Pizza. Eine heilige Kuh, die stolz vor einer bunten Eingangstür posiert, wird vom Hausbesitzer sanft beiseite geschoben. Die Tuktuk-Fahrer warten auf letzte Gäste, die in die modernen Hotels am Ortsrand gefahren werden wollen. Und eine junge Inderin schaut aus einem Fenster nahe des Torturms, verhüllt ihr dunkles Haar unter einem rot leuchtenden Gewand. Ihr Silberschmuck und die Elfenbeinringe am Arm klingen fröhlich und betörend, so wie ich mir das Lachen der Scheherazade vorstelle, die mit ihren Geschichten den König bezirzt.
Besucht im Oktober 2012.
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