Von Cascaden, Cognac und Kardashian - in Armeniens Hauptstadt Jerewan
06.07.2017 17:26
Ich stehe am obersten Punkt der Cascade von Jerewan, einem großen treppenähnlichen Gebilde an einem Berghang, und schaue auf die armenische Hauptstadt hinab. Hier oben wirkt alles beschaulich: Dieser große Moloch mit über einer Million Einwohner liegt im Sonnenschein, am Horizont die hohen Berge des Kaukasus, der Ararat verbirgt sich im Dunst. Es ist recht leer heute Nachmittag, ein paar weitere Touristen haben es mit der Rolltreppe im Inneren der Cascade, in der sich auch ein Museum befindet, nach oben geschafft, ein paar Liebespaare machen Selfies oder halten Händchen. Es ist der perfekte Platz zum Entspannen.
Der Stadtteil versprüht schon fast französisches Flair. Am Fuße der Cascade ist ein Park mit Sitzbänken, Brunnen und modernen Skulpturen, da herum einige gemütliche Cafés. Auf den Bänken sitzen ältere Herren und halten Ausschau. So wie viele Menschen in Armenien haben sie viel Zeit zur Muße. Laut offiziellen Angaben sind knapp 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos, fragt man auf der Straße nach, hört man häufiger die Angabe 60 Prozent. Viele Armenier suchen ihr Glück im Ausland - während nur drei Millionen Armenier in ihrem Heimatland leben, sollen über sieben Millionen Armenier auf der ganzen Welt zerstreut sein. Auch viele junge Armenier hält nicht viel in ihrem Land, für sie bleibt nur die Diaspora. Wer es im Ausland zu Erfolg und Reichtum schafft, schickt Geld nach Hause, kommt vielleicht irgendwann wieder. Einige Oligarchen kehren zurück, bauen Schulen oder Krankenhäuser.
Ich gehe die Cascade hinab, weiter an der Oper entlang in Richtung Republic Square. Eine einst vorhandene Altstadt ist modernen Häusern mit westlichen Shops gewichen. Neben alten Ladas kurven neue BMWs und sogar Bentleys herum. Kirk Kerkorian, Kim Kardashian, André Agassi oder Arthur Abraham - einige Promis haben armenische Wurzeln, setzen sich für das Land ihrer Vorfahren ein. Als etwa Kim Kardashian 2015 hierher kam, wurde sie wie ein Staatsgast behandelt; ihr Einsatz für die Anerkennung des Genozids brachten ihr und dem Land viel PR.
Reichtum und Armut gehen in Jerewan Hand in Hand. Neben winzigen Shops entstehen große Malls, doch viel los ist in ihnen noch nicht. In einer gehe ich in den Food Court, eine Handvoll Leute sitzt hier, die Verkäuferinnen schauen gelangweilt aus, sie tippen auf ihren Handys herum. Bei einer kaufe ich traditionelles Brot mit geröstetem Schweinefleisch. Als ich frage, wie das Geschäft läuft, schaut sie mitleidig. Ihr studierter Mann ist derzeit in Russland, um auf Baustellen Geld zu verdienen. Es gibt zu wenig Arbeit in Armenien. Nach dem Fall der Sowjetunion zog die Industrie ab, Ruinen blieben im ganzen Land zurück.
Der Tourismus allerdings versprüht ein wenig Hoffnung. Wunderschöne Berglandschaften laden zum Wandern ein, die Hauptstadt verspricht Kunst und Kultur, auf dem Land gibt es grandiose Klöster und Kirchen. Armenien ist das älteste christliche Land der Welt, umgeben von Freunden und Feinden. Im Norden und Süden liegen Georgien und der Iran, mit beiden pflegt das Land gut Verbindungen. Im Westen die Türkei, im Osten Aserbaidschan - beide Länder muslimisch, mit beiden gibt es Konflikte. Mit Aserbaidschan wird seit Jahrzehnten um die Region Berg-Karabach gestritten. Mit der Türkei verbindet Armenien seine dunkelsten Stunden, den Genozid vor etwa 100 Jahren, bei dem gut 1,5 Millionen Armenier getötet wurden, sowie den Verlust des Berges Ararat an das osmanische Reich. Der Ararat, nur wenige Kilometer hinter der Grenze zur Türkei, ist heute noch auf der Fahne Armeniens zu sehen, ebenso auf vielen Bildern in Kirchen, auf Büchern und Emblemen.
Ararat nennt sich auch eine Brandy-Marke. Im ganzen Land wird viel Weinbrand getrunken, den sie häufig Cognac nennen und der es auch im Westen dank Winston Churchill zu einiger Berühmtheit brachte. Eine Besichtigung des Ararat-Museums gehört darum in Jerewan zum Standardprogramm - mit Informationen zur Herstellung, zu den Promis, die hier schon waren, natürlich mit Verkostung. Der Brandy ist einer der Exportschlager des Landes, riesige Mengen werden nach Russland exportiert. Der andere „Exportschlager“ sind die systemkritischen Witze von Radio Eriwan - mehr platt als lustig, aber immer noch bekannt und viel zitiert. Und selbst wenn diese gar nicht wirklich aus Armenien stammen, wird die Stadt Jerewan nach wie vor damit in Verbindung gebracht.
Am Republic Square angekommen, setze ich mich auf eine der vielen Bänke. Abends wird es voll hier, denn dann gibt es eine Fontänenshow mit lauter Musik und bunten Lichtern. Die halbe Stadt scheint sich hier zu versammeln, Verkäufer bieten Nippes an, coole Jungs vollführen Tricks auf Bikes und Blades, die Stretchlimo kann für eine Runde gemietet werden. Ein Mann hat seine Ziege an der Leine dabei, es werden hunderte Selfies gemacht, die Eisverkäufer freuen sich über ein gutes Geschäft. Das bunte Wasserspektakel dauert mehrere Stunden, mir genügt eine gute halbe - einmal um den großen Brunnen herum. Die Stimmung hier ist ebenso entspannt wie auf der großen Cascade. Jerewan ist keine hektische Hauptstadt, sich aber ihrer bewegten Vergangenheit bewusst. Sie scheint bereit für mehr Touristen.
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