Von Chilischoten und dem Einfluss des Fremden: In einem Tharudorf in Nepal

28.10.2015 12:13

Sie macht sich nichts aus uns. In ihre blumige purpurfarbene Decke gehüllt, sitzt die alte Frau auf einer Matte vor ihrer strohgedeckten Lehmhütte in dem nepalischen Tharudorf und geht ihrer Morgentoilette nach. Sie betrachtet sich ihre Nägel, in der tätowierten rechten Hand hält sie ein Stückchen ausgefranstes Zahnputzholz. Die Sonne scheint ihr dabei ins Gesicht, die Wärme am noch etwas frischen Morgen tut ihr gut. Ihre Stirn ist an einer Stelle aufgeschürft, nachdem sie vor ein paar Tagen dort ihren Kopf anstieß. Der Dorfbrunnen, an dem einige junge Mädchen herumturnen, ist nur ein paar Meter von der Hütte entfernt.

Eine alte Frau in einem Tharudorf in Nepal. Foto: Wolfgang Bürkle

Die Tharu leben im Süden von Nepal, im flachen bewaldeten Terai, an der Grenze zu Indien. Immer mehr Touristen kommen an ihren Dörfern vorbei, um die Elefanten, Nashörner und Tiger im Chitwan-Nationalpark zu beobachten. Natürlich bringen sie Devisen, aber auch die unerwünschten Seiten des Tourismus - also gierige Hoteliers, die ihre Lodges auf dem Boden der Tharu bauen, oder Großgrundbesitzer, die Land in Beschlag nehmen. Bis in die 1950er konnten die Tharu, die sich "Menschen des Waldes" nennen, noch in Frieden in ihrem Urwald leben - kaum ein Fremder konnte es wegen der Malaria dort lange aushalten. Die Tharu hingegen hatten über Jahrhunderte hinweg Resistenzen gebildet und ihre eigenen Kultur weitgehend ungestört entwickeln können. Doch Mitte der 50er wurde die Malaria großflächig und erfolgreich vom nepalesischen Staat mit DDT bekämpft; allerdings mit dem Resultat, dass die Tharu nun viele Fremde in ihrem Lebensraum willkommen heißen mussten. Denn viele Nepalesen fühlen sich im warmen Terai wohler als in den kühlen und beengten Ausläufern des Himalaya. Die Tharu mussten sich den Einflüssen und dem Kastensystem anpassen.

Viele Häuser im Tharudorf haben noch keine verschließbaren Türen, schließlich leben die Familien in einer großen Gemeinschaft, die Frauen kochen zusammen, erziehen die Kinder gemeinsam und geben so ihre Kultur mit animistischem Glauben weiter - soweit sie diese bewahren können. Doch je mehr Fremde kommen, desto größer wird der Anpassungsdruck. Schulen werden in dieser Gegend errichtet, an denen die nepalesische Sprache und Kultur gelehrt wird - der hinduistische Glaube und westliche Eigenheiten verdrängen jahrhundertealte Gebräuche.
 
Kinder in einem Tharudorf in Nepal. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Die alte Frau vor ihrer Hütte schert sich da aber wenig drum. Sie spricht kein Nepali, kein Englisch, glaubt nicht an Brahma, Shiva und Vishnu. Eine ihrer Töchter erklärt, dass seit ein paar Jahren regelmäßig Touristen in den kleinen Ort abseits der Straße kommen. Sie wollen das "echte" Leben der Tharu kennen lernen, nehmen dabei in Kauf, eben dieses auch nur vorgespielt zu bekommen. Es gibt ein paar Modell-Hütten, die den Besuchern dann gezeigt werden, mit der altertümlichen Feuerstelle in einem kleinen separaten Raum, mit Strohmatten auf denen geschlafen wird, mit Chilischoten, die an den Wänden hängen oder in Körben sortiert auf dem Boden stehen. Bei einem anderen Haus steht eine Webmaschine - und natürlich zeigt eine andere Tochter, wie diese gehandhabt wird. 
 
An der Straßenkreuzung steht mittlerweile eine Infotafel mit Fotos, einer verplombten Spendenbox und Erklärungen, dass kein Geld direkt an die Bewohner gegeben werden soll, sondern alle Spenden hier zentral gesammelt und gleichmäßig aufgeteilt werde. Gerechtigkeit für alle. Für die Kinder sind die Touristen immer noch ein interessanter Besuch. Eine kleine Gruppe von ihnen rennt uns immer hinterher, beobachtet genau, was die Langnasen sich anschauen, zeigen auch mal eine Chilischote oder deuten auf den Kochtopf - sie wissen mittlerweile, für was sich die Besucher augenscheinlich interessieren. Für Fotos stellen sie sich brav nebeneinander auf, lachen, halten still, wie schon oft eingeübt. Die alte Frau vor ihrer Hütte hingegen lächelt nicht, reagiert nicht, ignoriert nur, als ob die Fremden gar nicht da wären.
 
Eine Frau mit Chilischoten in einem Tharudorf in Nepal. Foto: Wolfgang Bürkle
Besucht im März 2010.
 

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