Von Liebenden und Legenden: Am Atitlan-See in Guatemala
31.03.2020 11:44
Der Name allein ist legendär. Der Atitlan in Guatemala soll der schönste See der Welt sein: eine strahlend-blaue Fläche, umrahmt von Vulkanen, unter dem leuchtenden Himmel ein Paradies für Fische und Schwimmer. Ein Ort, der auch so manche Geschichte befeuert.
Meine erste Begegnung mit dem Atitlan ist an einem Nachmittag im März am Ufer der Hotelanlage im Ort Panajachel. Ich bin vom Zimmer durch den Garten gestiefelt, dann eine Treppe hinabgestiegen. Ein paar weitere Gäste haben es sich in Hängematten auf den einzelnen Terrassen bequem gemacht. Ein Rasensprenger benetzt neben dem Grün auch den Sand und einzelne Gartenmöbel. Und ich gehe weiter zum wackligen Holzanleger mit den hoch aufragenden Stämmen. Das Wasser ist kalt und eher trüb, die Vulkane am anderen Ufer sind im Dunst nur schemenhaft zu erkennen. Offensichtlich der falsche Zeitpunkt für Romantik, denke ich mir – und entschließe mich zu einem Rundgang bis zum Sonnenuntergang durch Panajachel.
Eine Hippiestadt, wie Hunderte andere in Mittel- und Südamerika. Überall kleine Restaurants, Hostels, Shops, Imbissbuden und Touranbieter. Rücksichtlos donnern die Tuktuks durch die Straßen, die Verkäufer drängen sich einem auf, wollen mir Schals, Ketten und Jade-Schnitzereien verkaufen. Auf der Strandpromenade in Richtung Flussmündung drängt sich eine Gaststätte an die nächste, bunt und laut und auffallend. Auf der Freifläche neben dem Fluss hat ein Hochzeitspaar ein Herz aus Steinen gelegt und lässt sich vom Fotografen herumdirigieren.
Ein paar Meter zumindest ist es vergleichsweise ruhig. An den Bootsanlegern ist keine Menschenseele, nur ein paar Vögelchen sitzen herum. Und die „Drei Riesen“ - so werden die drei prominenten, aber nicht mehr aktiven Vulkane genannt - zeigen sich langsam in voller Schönheit: Atitlán, Tolimán und San Pedro. Ein leichter Wind lässt die Wasseroberfläche tanzen.
„Der Xocomil bahnt sich an“, höre ich eine Stimme. Ich drehe mich um und sehe einen älteren Mann, braungebrannt und mit Cowboyhut hinter mir stehen. Was für eine Schokomilch, denke ich spontan, verkneife mir aber die Frage und schaue den Mann nur verkniffen an. „Gib mir ein Bier aus und ich erzähle dir die Legende unseres Windes, des Xocomil“, sagt er grinsend. Why not? In der nächsten Kneipe setzen wir uns an die Bar. Und der Mann beginnt zu erzählen.
„Einst vereinten sich im Zentrum der drei Vulkane drei mächtige Flüsse – damals, als es noch keinen See gab. Es war ein wunderschöner Ort und ein Paradies für die Bewohner hier. Und jeden Morgen kam die schöne Tochter eines Häuptlings an diesen Punkt und badete lange und ausgiebig in ihm. Ihr Name war Citlatzin und beim Baden sang sie mit ihrer wundervollen Stimme, dass sich sogar die drei Flüsse in sie verliebten. Eigentlich war sie dem Sohn eines anderen wichtigen Häuptlings versprochen – doch beim Blumenpflücken verliebte sich Citlatzin in Tzilmiztli, einen einfachen Bürger. Eine damals unverzeihliche Sünde! Die beiden Liebenden begannen schließlich, sich heimlich zu treffen. Citlatzin kam immer seltener und kürzer zum Baden – zudem hörte sie auf zu singen. Dies verwirrte die drei Flüsse und sie fragten den Wind, was der Grund für ihre Stille war. Dieser erklärte, was Liebende so eben tun und dass sich Citlatzin in einen einfachen Bürger verliebt hatte – die drei Flüsse wurden überaus wütend vor Eifersucht.
Sie überredeten den Wind, Tzilmiztli beim nächsten Treffen der beiden mit einer warmen Brise ins Wasser zu locken und ihn dann mit wuchtigem Wind unter Wasser zu drücken, um ihn loszuwerden. Gesagt, getan, Tzilmiztli fiel auf die List herein, das wütende Wasser zog den jungen Mann mit der Wucht des Windes in die Tiefe und ertränkte ihn. Doch Citlatzin wollte nicht ohne Tzilmiztli leben, sie tauchte ins Wasser, griff die Hand ihres Geliebten – und ging mit ihm unter.
Als die Flüsse dies realisierten, wurden sie noch wütender und verzweifelt – sie strömten zusammen und bildeten den Atitlan-See. Der Wind, den du heute noch spürst, ist ein Protest der Elemente: Wasser und Wind werden nie vergessen, dass Citlatzin mit der Liebe zu einem einfachen Mann eine Sünde beging. Xocomil heißt ,gesammelte Sünde' – noch heute sammelt unser Wind die Sünden der Bewohner am See.“
„Du erzählst ihm ja diese neumodische Legende – pack doch lieber die traditionelle Story aus“, hakt da plötzlich der Barkeeper ein. „Jeder hier weiß doch, dass es den Xocomil wegen des Kriegers Utzil und der Prinzessin Zacar gibt. Das hat schon meine Oma so erzählt. Der Kaqchiquel-Krieger hatte sich die Quiche-Prinzessin geschnappt und war mit ihr an den See geflohen. Dort machte er sich auf dem Rücken eines Kaimans auf die Suche nach einem Boot. Als er zurück kam, war die Prinzessin tot, in ihrem Versteck von Koyoten zerfleischt. Das verzweifelte ihn so sehr, dass er ihren Leichnam nahm und sich mit diesem in den See warf, damit sie für immer zusammen sind. Seitdem machen Utzil und Zacar immer nachmittags im See rum – und der Wind sorgt dafür, dass keiner die beiden dabei stört.“
„Das klingt aber weniger romantisch“, sage ich achselzuckend in die Runde und nippe an meinem Bier. „Ist ja auch egal, es gibt viele Legenden rund um den See“, ergänzt daraufhin der ältere Mann und kippt den Inhalt seiner Flasche in einem Mal herunter. „Könnte aber auch ein natürliches Phänomen aus kalter und warmer Luft sein, die für Turbulenzen sorgt und das Wasser aufwirbelt“, zwinkert schließlich der Barkeeper und präsentiert mir die Rechnung.
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