Von Masken und Penissen: Ein Tempelfest in Bhutan
28.11.2019 09:12
Der alte Mann mit dem runzligen Gesicht grinst mich an. Er sitzt auf einer Steinmauer, eine dicke Wollmütze auf dem Kopf, in seiner rechten Hand schwenkt er eifrig eine Gebetsmühle. Warum genau er mich angrinst, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber möglicherweise, so denke ich wenige Stunden später, hat es mit hölzernen Penissen zu tun. Doch beginnen wir am Anfang.
Es ist der 14. November. Ich bin am Morgen am Jambay Lhakang Tempel angekommen, einem der über 3000 buddhistischen Tempel von Bhutan. Die Anlage liegt im Bumthang-Tal, ziemlich zentral gelegen in dem kleinen asiatischen Land. Und ich erwarte heute ein Tempelfest – mit Gesang, mit Tanz, mit Masken und ein wenig Lokalkolorit. Vier Tage lang dauert das Jambay Lhakhang Drup, eines der beliebtesten Feste im Land, mit seinen ganzen verschiedenen Elementen. Das Fest erinnert an den Bau des Tempels im siebten Jahrhundert, zudem ist es eine Hommage an Guru Rinpoche, der die tantrische Form des Buddhismus in Bhutan einführte, und dessen Antlitz heute überall in den Tempeln ähnlich prominent erscheint, wie Buddha himself. Heute ist der zweite Tag des Festes - und laut Programm soll es unter anderem den Tanz des Totengottes geben.
Ich weiß zwar, dass jeder einzelne Tanz eine besondere Bedeutung hat – will jedoch nur ein paar Stunden hier verbringen. Schließlich gibt es ja noch mehr in Bhutan zu sehen: darunter viele andere Tempelanlagen, eine atemberaubende Landschaft und unfassbar viele Gebetsfahnen. Die Feuerzeremonie und den (für Reisende eh nicht zugänglichen) nächtlichen Nackttanz im Tempel verpasse ich sowieso. Noch sind die Tempelfeste eine Veranstaltung primär für die Einheimischen. Sie tragen ihre schönsten Khiras und Ghos - die Nationaltracht. Viele Familien kommen her, setzen sich auf den harten Steinboden in die knallende Sonne. Ganze Laster und Busse voll Neugieriger werden angekarrt, eine Zeltstadt entsteht für ein paar Tage direkt neben der Tempelanlage. Auch viele Reisende verschlägt es mittlerweile hierher - überall reflektieren die Kameralinsen in der Sonne. Ich verschaffe mir erst einmal einen Überblick, schaue in den innersten Tempel hinein, gehe auf den angrenzenden Hügel. Und von hier oben sieht alles recht beschaulich aus: Lediglich in einer Ecke der Anlage finden die heutigen Tänze statt. Schätzungsweise 500 Menschen haben sich vielleicht hier eingefunden.
Gegen 10 Uhr geht es los. Und es tanzen erst ein Dutzend Frauen - umringt von mehreren Clowns, die Atsara genannt werden. Die Clowns rennen um die blau kostümierten Frauen herum, veranstalten irgendeinen Lärm, rufen und tollen herum. Die Damen verziehen sich schließlich und machen Platz für einen Tanz mit Hirschgeweih-Masken. Eine gute Stunde schaue ich mir das an, verstehe natürlich nichts von dem Gesang und gehe dann mal in die "Shopping-Meile" um die Ecke, wo die Einheimischen Klamotten, Essen und Nippes kaufen können. Hier ist aber wenig los, auch in der Hüpfburg ist es noch ruhig, also schlendere ich langsam wieder zurück zum Fest. Nun sind gerade die Schwarzhutmagier am Tanzen. Immerhin wird es ein wenig voller im Kreis. Daraufhin tanzen Männer mit Totenkopfmasken.
Und schließlich, es ist kurz vor 12 Uhr, kommt wieder das Damendutzend auf die Tanzfläche, stellt sich in einer Reihe seitlich zu den Schwarzhutmagiern auf und wartet. Bis dann einer der Clowns einen großen Holzpenis hervorholt und gemeinsam mit seinen Kumpels jede einzelne Dame - mit diesem Ding auf den Kopf platziert - ausführlich segnet. Einer der Atsaras hat den rot-braunen Phallus in der Hand, redet kurz mit der Dame etwas, platziert das Holz mehrfach auf ihrem Kopf, spricht weiter, tunkt den Phallus schließlich in ein Gefäß mit Flüssigkeit, das jede Dame bereithält, und verteilt die daran hängenden Tropfen zum Schluss schnickend in der Zuschauermenge. Die anderen Atsara-Clowns unterstützen ihn dabei.
Ich schaue mich im Publikum um: kein Grinsen oder Lachen. Ich schaue die weiblichen Protagonisten an: kein Grinsen oder Lachen. Höchstens mal ein verschüchtertes Lächeln. Also doch eine ernsthafte Penis-Segnungszeremonie. Zeit also für einen kulturellen Exkurs. Ich frage meinen Guide: Der Phallus soll böse Menschen, Geister und Klatsch fernhalten. Auch in einigen Tempeln wird anschaulich dem Penis gehuldigt, er ist ein beliebtes Schmuckstück an Häusern oder auch als Souvenir. Und beim heutigen Fest heißt es, dass die Frau, der mit einem Phallus auf den Kopf geklopft wird, eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, Kinder zur Welt bringt. Also ein Fruchtbarkeitsritual. Zurück geht diese Penis-Verehrung in Bhutan auf den exzentrischen Lama Drukpa Kunley, der ein ausgesprochener Rebell gewesen sein soll und unter anderem seinen Penis als "flammenden Donnerkeil der Weisheit" betitelte, mit dem er das Böse bekämpfte.
Ich nehme das einfach Mal so hin. Hat sich ja über Jahrhunderte hier bewährt - ohne heute für Entsetzen zu sorgen. Schließlich sind alle zwölf Damen "gesegnet". Sie verziehen sich freudestrahlend in das naheliegende Häuschen - und nach einem weiteren Geplänkel der Atsaras fangen die Schwarzhutmagier wieder an zu tanzen. Die Sonne scheint, die Familien feiern und schauen dem Treiben weiter zu. Der alte Mann auf der Steinmauer schwenkt fortwährend seine Gebetsmühle. Und ich verlasse diesen heiligen Ort mit seinem kuriosen Fest. Und sehe die vielen Penisse in Bhutan mit etwas anderen Augen.
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