Von Vulkanen und Riesen: Am Giant's Causeway in Nordirland
11.07.2018 12:12Ein anstehender Kampf zwischen zwei Riesen - einer in Irland, der andere in Schottland. Dazwischen: das Meer. Und die Idee, eine gewaltige Landbrücke aus Steinen zu bauen, um dem anderen herauszufordern. So beginnt die Legende um den Giant's Causeway - die allerdings nicht mit einem Kampf endet. Sondern mit einer List der Frau des irischen Riesen Finn McCool und der verängstigten Flucht des schottischen Riesen Benandonner, der schließlich die Landbrücke zerstört (nachzulesen etwa hier
Eine Landbrücke, ja, so etwas könnte man hinein interpretieren, in dieses merkwürdige Gebilde aus 40.000 Basaltsäulen an der Nordküste der irischen Insel. Die fünf- bis achteckigen Steine reichen ein paar Dutzend Meter ins Meer hinein, werden vom Wasser des Atlantiks umspült und von Besuchern belagert. Egal wen man fragt - der Giant's Causeway ist die Touristenattraktion von Nordirland. Man könnte natürlich sagen, es sind eben nur ein paar Steine, die etwas kurios aussehen. Schließlich gibt es hier keine Inschriften, keine religiösen Überbleibsel oder archäologische Artefakte. Sondern nur die weiter erzählte Legende und die zerklüftete Symmetrie der Säulen, die im Zusammenspiel mit der Brandung fasziniert.
Am späten Nachmittag habe ich oberhalb der Klippen mein Auto geparkt, mich durch das topmoderne Besucherzentrum gewühlt und den etwa einen Kilometer langen Weg nach unten zurückgelegt. Bevor ich allerdings die Landzunge selbst betrete, gehe ich erst noch ein paar hundert Meter weiter, zu den markanten Basaltsäulen an einem Berghang, die auch "Orgel" genannt werden, schließlich zur nächsten Bucht, die wegen ihrer Form und Höhe auch Amphitheater heißt. Kreativ sind diese Namen nicht, eher ein Schlag mit dem Hammer in den Offensichtlich-Katalog. Der Weg hier entlang ist kurzes Pflichtprogramm also vor der Kür - dem eigentlichen "Grand Causeway", dem Ding, was sich alle Welt anschauen will. Da allerdings um diese Uhrzeit die letzten Busse Richtung Besucherzentrum fahren, ist der Bereich schon mittlerweile relativ leer. Fußkranke, Faule und die meisten Gruppen haben den Heimweg angetreten. Ein paar Security-Menschen pfeifen noch gelegentlich übereifrige Selfie-Fotografen von der Brandung weg, ansonsten bleibt Zeit zum Sitzen, zum Pflanzen und Wellen beobachten.
Ich hüpfe von einem Sechseck zum nächsten, schaue mir die unterschiedlichen Höhen und Tiefen der Basaltsäulen an. Auf manchen haben sich Flechten festgesetzt, andere sind schon von tausenden Schuhen oder vielleicht auch von unzähligen Gischtschlägen glatt poliert worden. Zwischendurch gehe ich ein bisschen auf die Anhöhe, betrachte dann ein paar der lilafarbenen Blümchen in den Ritzen, wie sie so eifrig in Brise zittern. Noch ein Blick in die Broschüre: ein Unesco-Welterbe, ein Kronjuwel der irischen Küste, Lebensraum für seltene Vögel und Pflanzen. Und natürlich: 60 Millionen Jahre alt, entstanden nach einem Vulkanausbruch. Die nüchternen Fakten treffen hier auf die Legende des Giganten Finn McCool. Ich grübele darüber nach, was gerade in diesem Moment mehr Faszination ausüben könnte: ein Riese, der hier vor meiner Nase vorbeilaufen würde, oder ein Vulkan, der hinter meinem Rücken gigantische Lavabrocken speien würde. Eine Kombination aus beidem wäre toll - und ich hüpfe dazwischen, so ein bisschen wie Super Mario oder wie Walter Mitty in einem seiner Tagträume.
Doch leider sehe ich nur Menschen, die hier für Selfies posen, die Füße ins kalte Wasser halten, oder auch nur da sitzen und schauen. Was keinesfalls eine schlechte Beschäftigung ist: Entschleunigung, Muße - vielleicht auch ein bisschen Mystizismus. Würde mich nicht wundern, wenn hier spirituell angehauchte Besucher okkulte Rituale vollführen würden. Die Konzentration auf die Brandung, den Wind und die Sonne, die im Westen langsam hinter Wolken verschwindet, lässt weitere Tagträume und Spekulationen in mir gedeihen. Ich erinnere mich an ein Pamphlet, in dem behauptet wurde, die Sintflut war ursächlich für das Entstehen des Giant's Causeway. Oder hätten es sogar riesige Bienen sein können, deren Waben über die Jahrtausende zu Stein geworden sind? Möglicherweise doch eine Landebahn für Aliens?
Als sich unvermittelt ein weiterer Selfie-Jäger direkt vor mich postiert, werde ich unsanft aus meinen merkwürdigen Gedanken gerissen. Noch mehr Leute stapfen an mir vorbei. Eine amerikanische Gruppe stellt sich vorne an den Rand, manche von ihnen tragen "I Love Jesus"-Shirts. Sie bereiten sich auf ein Gruppenfoto vor, der Fotograf dirigiert sie ein wenig herum. Und kaum fangen sie an zu lächeln, knallt eine Brandungswelle gegen die Basaltsäulen, lässt eine wunderbare Wasserwand nach oben spritzen, die sich herrlich auf die Amerikaner herabregnet. Ja, vielleicht huscht hier doch noch irgendwo ein Gigant herum, der ein bisschen Spaß haben will.
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