Wenn Sheherazade ruft: In der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi

15.09.2016 20:17

Scheherazade ruft. Geistesabwesend drehe ich mich zu ihr herum. Ich kann sie im grellen Gegenlicht der Sonne kaum erkennen. Erst, als ich mit meinen Händen vor den Augen die Sonne abschirme, zeichnet sich ihre Silhouette deutlich vom marmornen Glanz der Moschee ab - ein schwarz eingehülltes Geschöpf vor einer gleißend weißen Wand, die sie um viele Meter überragt. Schwarz und Weiß, ein kleiner Mensch vor einem großen Marmorgebäude - deutlicher könnte ein Kontrast nicht sein. Hier, in der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, fühlt sich jeder Mensch klein und unbedeutend. Denn dieser Gebetspalast ist einfach nur riesig: 40.000 Menschen sollen hier Platz finden, in diesem Prunkbau, der noch keine zehn Jahre alt ist. Doch heute sind wir fast alleine. Die Springbrunnen plätschern trotzdem vor sich hin, darin spiegeln sich die 82 runden Kuppeln, die vier hohen Minarette und die hufeisenförmigen Bogengänge.  

Die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Foto: Wolfgang Bürkle


Scheherazade wird ungeduldig. Wieder ruft sie. Doch ich betaste staunend mit meinen verschwitzten Fingern eine der Hunderten weißen Säulen, die den Gang der Moschee bilden, aufgereiht wie versteinerte Soldaten in Reih und Glied mit goldfarbenen Blättern gekrönt. Ich fahre die Intarsien nach: Jede Säule ist mit schlanken Blumen geschmückt, jedes Detail aus Halbedelsteinen und Perlmutt geformt. Irgendwie wirken die Pfeiler durch die filigranen Arbeiten nicht protzig, sie erinnern mich an arabische Kalligrafien auf Pergamentpapier. Das Blumenmuster zieht sich durch das ganze Bauwerk hinweg, auch im großen Innenhof wandelt man über Ranken und Blüten, läuft vorbei an verschnörkelten Koranversen und Ornamenten. Ein enormer Wert unter, neben und über mir. Mehr als 500 Millionen Dollar Baukosten allein zu Ehren Allahs - und natürlich auch zu Ehren des Scheichs Zayid, der diese Moschee nach seinen Vorstellungen bauen ließ, als Symbol der Einheit der verschiedenen islamischen Kulturen und als Brückenschlag zwischen historischer und moderner Architektur. Hier ließ er nicht nur seinen Visionen freien Lauf, hier fand er auch sein Ende: Sein Begräbnis war die Eröffnungszeremonie der Moschee. Ob der Scheich sich durch diesen Bau einen guten Platz im Paradies gesichert hat? 
 
Die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Ob Scheherazade in ihrer schwarzen Abaya schwitzt, frage ich erst gar nicht. Bei mir zumindest läuft der Schweiß unaufhaltsam die Stirn hinunter. Es sind fast 50 Grad, in der Sonne kann man sich nur kurz aufhalten, auch im Schatten ist es nicht wirklich angenehm, wenn man sich bewegt. Als ich durch den weitläufigen Innenhof gehen will, werde ich von einem der Sicherheitsleute zurückgepfiffen - offenbar soll dieser Mittelpunkt der Moschee gerade nicht betreten werden. Ich gehe weiter zwischen den Säulen umher, bis mir ein kalter Wind ins Gesicht faucht. Kraftvolle Klimaanlagen blasen aus der bombastischen Gebetshalle heraus, die das nassgeschwitzte Hemd unfassbar schnell zum Erstarren bringen. 
 
Die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Scheherazade ist schon drinnen - sie wirkt wie eine winzige Legofigur im farbenfrohen Barbieschloss. Die Halle ist ein wahr gewordener Traum aus einem Märchen. Die Besucher sehen im riesigen Raum nicht nur den größten Teppich der Welt, sondern auch einige der größten Kronleuchter, die je von Menschenhand geschaffen wurden. Überall funkelt und glitzert es in allen erdenklichen Farben. Wenn hier Bäche aus Milch und Honig fließen würden, es fiele mir nicht weiter auf. Koran-Ausgaben liegen auf Regalen, zwischen Säulen glitzern Sterne. Wo draußen das großflächige Weiß für Reinheit und Frieden steht, ist im Inneren ein farbenfrohes luxuriöses Paradies, in dem man schnell die Kontrolle über die Gedanken verlieren kann. Und obwohl die Moschee quasi ein Neubau ist, kann ich mir gut vorstellen, wie ein alter Sultan hier seit Jahrzehnten Audienzen hält, voll Prunk und Protz, mit Heerscharen an Dienern und Soldaten, in diesem Palast, gekrönt vom goldenen Halbmond.  
 
Die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Scheherazade blickt mich mit ihren Kajal-umrandeten Augen an. Für einen kurzen Moment fühle ich mich wie der Sultan persönlich, der gerade die ganze Aufmerksamkeit seiner Dienerin hat. Doch ihr Blick senkt sich sofort wieder, sie will sich konzentrieren. Denn Scheherazade muss eine Geschichte erzählen. Ein Märchen aus 1000 und einer Nacht vielleicht, oder doch die Geschichte, wie aus einem kleinen sandigen Beduinenlager das reiche Emirat Abu Dhabi wurde. Die Grenzen zwischen Legende und Wahrheit verschwimmen hier in der Scheich-Zayid-Moschee, einer real gewordenen Vision eines Öl-Scheichs. Und Scheherazade, eine versierte Führerin, schmückt die reale Geschichte mit allerlei fantastischen Fabeln aus, bis man sich wie der persische König Schahrayar fühlt, der der legendären Scheherazade erst sein Ohr und dann sein Herz schenkte. 
 
Die Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate. Foto: Wolfgang Bürkle

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