Hinweis: Dieser Text wurde im Dezember 2016 geschrieben - am 8. März 2017 stürzte das Azure Window nach hettigen Unwettern in sich zusammen.
Spürst du den Wind, der vom Meer hierher weht? Die winzigen Wassertropfen, die er mit sich trägt, die sich wie salzige Schweißperlen auf das Gesicht legen? Er ist nicht kalt, aber irgendwie unangenehm, wenn man ihm stundenlang ausgesetzt ist. Es ist Winter auf Gozo, irgendwas um die 15 Grad, viele Wolken. Und Wind. Die kleine Mittelmeerinsel zeigt sich heute nicht von ihrer schönsten, dafür aber von einer dramatischen Seite. Der Himmel ist überwiegend dunkelblau bis grau, gesprenkelt von einigen weißen und hellblauen Flecken. Die Wolkendecke zieht schnell dahin, fast wie in einem Katastrophenfilm. Die Wellen hingegen rollen gemächlich gegen den Stein, die Brandung ist erstaunlich zurückhaltend. Auch schwerer Regen ist nicht dabei - es könnte also schlimmer sein.
Ich stehe vor dem Azure Window, einem riesigen Kalksteinbogen am Meer. Er ist der Touristenmagnet von Gozo, dieser kleinen Insel neben Malta, im Meer zwischen Sizilien und Libyen. Jeder, der die Insel besichtigt, kommt hierher, kommt über eine breite Straße an einem Steinbruch vorbei zum Parkplatz, um sich dann vor dem 28 Meter hohen Bogen oder auch darauf in Pose zu werfen. Unzählige Fotos von Frauen im Bikini davor habe ich schon auf Instagram oder Facebook gesehen. Heute sind sie ebenso verschwunden, wie die Sonne. Natürlich hat das Azure Window seinen Platz auf den Leinwänden der Welt schon längst gefunden - von Game of Thrones bis zum Graf von Monte Christo. Und fast immer ist blauer Himmel zu sehen und natürlich das azurblaue Wasser, in dem sich so wunderbar tauchen ließe. Doch nun ist das Wasser kalt und dunkelblau.
Ich balanciere über den harten Kalkstein in Richtung Meer. Überall sind kleine Krater, teils gefüllt mit Wasser, teils mit spitzen Kanten. Dann ein paar abgebrochene Felsen, einige Stufen. Nur wenige Menschen sind heute hier unterwegs. Immerhin diesen Vorteil hat das Wetter mit sich gebracht. Ein Brautpaar ist dabei, er im schwarzen Anzug, sie im weißen Brautkleid - auch sie hätten sich Sonnenschein verdient, aber der Fotograf, der sie über die spitzen Felsen dirigiert, hat bestimmt noch einige Strahlen per Photoshop auf Lager. Sie lassen sich nicht entmutigen und schießen Dutzende Fotos vor der markanten Kulisse.
Nachdem ich auch genügend Fotos von südlicher Seite gemacht habe, gehe ich wieder über den Parkplatz und an diversen "Danger"-Schildern vorbei. Daran hält sich hier eh niemand, Absperrungsbänder sind zerrissen, zu viele Menschen haben sich schon auf den Weg auf den Bogen drauf gemacht. Über unebenes Gestein geht es nach vorne zur Spitze. Ich kann nicht sehen, wann genau ich über der Öffnung bin, nur erahnen, dass mich an einer bestimmten Stelle wohl nur wenige Meter vom Bogendach trennen würden. Wie würde es sich wohl anfühlen, hier herunter zu springen? Der Gedanke wird ganz schnell verworfen, lebensmüde bin ich nicht. Dennoch taste ich mich möglichst weit an den Abgrund heran, um irgendwie den Bogen zu erahnen. Keine Absperrung, keine Security - niemand kümmert sich drum, wer hier wo rumspaziert. Ein Boot fährt unten vorbei. Die Aussicht von hier oben bleibt allerdings unspektakulär - hinaus auf weitere Klippen, auf den imposanten Dwejra Tower und den Fungus Rock, auf dem der Malteserschwamm wächst. Das Wetter wird zwischenzeitlich wieder etwas ungemütlicher. Der Wind zieht an, die Wolken werden dunkler. Ich beschließe noch, den Dwejra Tower zu besuchen - immerhin ist da ein Dach drauf.
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