Wo ist mein Wein? Die Heimkehr nach der Reise
30.10.2019 12:53
Die Unruhe des Reisens liegt hinter mir. Dafür die große Tasche auf dem Boden. Ich öffne die Reißverschlüsse, räume die Fächer aus, die dreckige Wäsche in die Waschmaschine, die Schuhe abklopfen und in den Schrank. Die Souvenirs landen erstmal auf der Couch. Ich trinke endlich wieder sauberes Wasser ohne Bedenken aus dem Wasserhahn, schaue dabei auf die vertrauten Weinberge hinterm Haus in Nierstein. Ja, ein kleiner Schluck aus der frisch geöffneten Weinflasche geht auch. Dann setze ich mich an den Esstisch und schreibe ich ein paar WhatsApp-Nachrichten. "Bin wieder da. Was geht?" Vielleicht trudeln Antworten ein. Manchmal nur ein "Oh, schon wieder da?" oder "Ach, du warst wieder weg?". Das typische Heimkommen eben. Und das Warten auf die Entzugserscheinungen nach dem Trip in eine andere Welt.
Zwei, drei Wochen Urlaub können eine lange Zeit sein. Oder eben nicht. Meistens haben wir das Gefühl, dass die Reise zu schnell vorbei ist. Denn zuhause hat sich nichts verändert. Dieselbe Wohnung, derselbe Freundeskreis, dieselbe Arbeit. Alltag. Die Arbeit ruft, jeden Tag wieder aufs neue, der bekannte Ablauf. Man sieht auf einmal wieder die ganzen Menschen, die quasi automatisiert auf ihrem Weg zur Arbeit sind. Staus auf den Straßen, Pendler an den Bahngleisen, Handysüchtige im Bus. Meine Reise ist mal wieder Vergangenheit. Freunde und Kollegen haben davon ein paar Sätze abbekommen, können dank Instagram- und Facebook-Fotos sowie kurzen Erzählungen beim Mittagessen aber nur einen Bruchteil dessen erahnen, was ich erlebt habe. Manchmal ist es auch nur eine Höflichkeitsfloskel, wenn einer fragt, wie es war. Nach ein paar Tagen ist es eh wieder so, als sei man nie wirklich weg gewesen. Das Leben geht ungerührt weiter, mit einem oder ohne. Die Heimat funktioniert auch ohne mich.
Manchmal erwartet einen nach der Rückkehr eine Überraschung. Irgendwas ist doch anders. Vielleicht hat sich die Landschaft seit der Abfahrt verändert: Im Herbst sind plötzlich alle Blätter verschwunden, im Frühling hingegen sprießt es, wo vor der Reise noch alles dürr war. Ein neues Haus wird vielleicht am Ortsrand gebaut. Freunde haben neue Lebensabschnittsgefährten, neue Jobs, sind älter geworden. Oder schwanger. Bin ich auch älter geworden? Hat mich die Reise, das Ausbrechen aus dem Alltag, reifer gemacht? Oder bin ich einfach nur zynischer oder möglicherweise hoffnungsvoller geworden?
Ich lege mich auf mein Sofa und starre an die Decke, breite die Arme aus und denke nach. Wenn ich die Augen schließe, flimmern die Bilder der Reise förmlich vor mir, die ganzen Stationen voller Leben, Menschen, Sehenswürdigkeiten, Kulturen, Essen und Trinken. Alles so anders als in der Heimat. Abgesehen vielleicht vom Bier. Oder den Schokoriegeln. Welche Erlebnisse waren besonders einprägsam? An was erinnere ich mich gerne zurück? Und an was nur mit Schaudern? Natürlich lehrt einen jede Reise etwas Neues. Dieses Entdecken und Erleben, Dinge zu sehen, die man nicht kennt, diese Neugier war schon immer in mir drin. Ängste mussten dazu besiegt und Wissen angeeignet werden - von der Route bis zu der Frage, welche Impfungen für ein bestimmtes Land notwendig sind. Eine gute Vorbereitung hat mir die Bedenken genommen und das Gefühl gegeben, gewappnet für alle Eventualitäten zu sein. Und nach der Reise ist jede Unsicherheit besiegt worden.
Ich reflektiere die vergangenen Tage. Beeindruckende Landschaften, kurioses Essen, die nächste unerwartete Begegnung direkt um die Ecke. Arme Bettler in Indien, reiche Bonzen in Dubai, der Sand im Sudan, das Gletschereis in Island, die Moai auf der Osterinsel. Hunderte Fotos gemacht, die nun geordnet und bearbeitet werden müssen. Das Leben auf einer Reise ist anders, voller neuer Erlebnisse, kein Tag gleicht dem anderen. In Deutschland wartet dann wieder der Trott, nur wenige Flugstunden entfernt von Palmstränden, den beeindruckendsten Hochkulturen - und von Krieg oder Armut. Unterschiedlicher geht es kaum, ein paralleles Universum, in das ich vielleicht für kurze Zeit eintauchen konnte. Da ist sie, die erste Entzugserscheinung: Ein Fremdheitsgefühl erfasst mich, nicht weil sich groß etwas geändert hat, sondern eher, weil mir manches nicht mehr "normal" vorkommt. Auf einmal kommt mir die deutsche Ordentlichkeit verwirrend vor, die Unzufriedenheit übertrieben. Wo ist das Chaos des in den Tag hineinlebens? Wo ist der Kick vor dem Unbekannten? Auf dem Markt oder in Geschäften alles zu bekommen und nicht zu handeln, kommt mir auf einmal dekadent vor. Und nach Wochen im afrikanischen Hinterland ist das fließende warme und kalte Wasser im sauberen Bad plötzlich eine himmliche Offenbarung.
Manchmal wünschte ich, ich könnte direkt wieder weg, den nächsten Flieger nehmen, in irgendein anderes exotisches Land. Ohne Pause, wieder ausbrechen, wieder intensiv leben und erleben. Ich mache mir zumindest erste Gedanken, wo es als nächstes hingehen könnte. Schließlich öffne ich die Augen, setze mich auf dem Sofa hin und packe die Souvenirs aus - die Relikte der Reise, die wohl bald verstauben. Ich überlege, an welcher Stelle im Regal sie sich am besten zu den anderen gesellen. Zum kleinen Drachen aus China? Zur Flöte aus Venezuela? Oder zur Holzgiraffe aus Ghana? Noch während ich überlege, tutet mein Handy. Eine Nachricht. "Heute Abend Wein trinken?" lese ich. Na klar, antworte ich - endlich wieder Riesling. Denn ich bin ja wieder nach Hause gekommen, in die stets vertraute Heimat. Und manch Alltägliches gewinnt wieder an Reiz, wenn es in der weiten Welt so viel Anderes zu entdecken gibt.
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